... Hahaha, groddenohlm ...
Die Corona-Krise hat vor allem auch die Sinne und Augen über Stimmigkeit weiter geöffnet:
Ehrlichkeit
Nachhaltigkeit
Glaubwürdigkeit
mit kurzem Rückblick auf die Logik in der Diskussion um die Sterbehilfe
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Verantwortung und Moral
"Mensch: du bist nicht gemacht für Industrie und Produktion, für Konto und Konsum.
Du bist gemacht, um Mensch zu sein. Du bist geschaffen für das Licht,
für die Freude, um zu lachen und zu singen, um in Liebe zu leben und
um dazusein für das Glück der Menschen um Dich herum."
(Phil Bosmans)
"Der Grund für die Umweltverschmutzung ist der Mensch selbst:
die Vergiftung seines Geistes, die Verwüstung seiner Seele."
(Phil Bosmans)
Das Problem mit der Ehrlichkeit, der Nachhaltigkeit, der Glaubwürdigkeit ... (Aufgezeigt am Beispiel "Corona-Epidemie")
Wer die Diskussion um die Sterbehilfe lange und aufmerksam verfolgt hat, dürfte sich nun angesichts dessen, was im Zuge der Corona-Epidemie angsprochen wird, doch zumindest etwas wundern. Wir erinnern uns noch gut: Es ging und geht darum, ob ein Mensch selbst (für sich!) entscheiden darf, ob und wann er sein Leben beenden möchte. Oder ob andere (hier: wer auch immer) das Sagen über individuelle Zielsetzungen sich anmaßen dürfen, dies dann noch gesetzlich abgesichert.
Nun hat das Bundesverfassungsgericht hier (im Sinne einer individuellen Entscheidung) geurteilt, daß es enge Grenzen mit der Beschneidung der Individualität gibt, daß also ein Einzelner sehr wohl über das Ende seines Lebens entscheiden darf, daß ihm zum Vollzug die entsprechenden Mittel nicht verwehrt werden dürfen, daß allerdings auch ein "Töten auf Verlangen" ausgeschlossen bleibt.
Was spricht eigentlich dagegen, wenn irgendein Mensch -- aus welchen Gründen auch immer -- für sich entscheiden sollte, es sei nun genug mit seinem Leben, es reiche ihm, er möchte nicht mehr länger hier verweilen? Was dagegen spricht, kann man unschwer den Verlautbarungen all jener Kreise entnehmen, die sich etwa auf "Gott" berufen, daß danach ein Mensch eben keine individuelle Entscheidungsbefugnis hat bzw. haben kann. Jene Kreise, so edel ihr Weltbild aus ihrer Sicht auch sein mag, verkennen allerdings, daß "Gott" (oder welch andere metaphysische Konstruktionen auch immer) für andere eben keine Bedeutung, damit die sich daraus unmittelbar ergebenden Setzungen, hat. Für viele Menschen ist "Gott" ein Fiktion, ein Konstrukt (etwa dem menschlichen Denk-Bedürfnis, daß mit dem Tode doch nicht alles vorbei sein könne geschuldet, also ein Produkt einer Projektion!), eine Projektion (ggf. aus der Ursprungsgeschichte des menschlichen Bewußtseins generiert), u.a.m.; aber "Gott" und die durch ihn sich legitimierenden Instanzen sind vor allem auch eines: Ausgeburt von Macht, Versuche intensiver Fremdbestimmung, Einflußnahme auf gesellschaftliche Entwicklung, nicht zuletzt auch Absicherung persönlicher Pfründe. All diese Faktoren dürften Karl Marx in der 1843/44 verfaßten Einleitung zu seiner Schrift "Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie" zu der Aussage veranlasst haben, wonach Religion "das Opium des Volkes" sei. (Fälschlich wird oft das Zitat in der Form "Religion ist Opium für das Volk" kolportiert, was freilich aus kritischer Perspektive den gemeinten Sachverhalt nicht in ein Gegentteil verrückt, sondern vielmehr einen Perspektivenwechsel sowohl im Betrachtungsschwerpunkt als auch im funktionalen Aspekt bedeutet.)
Nun kann man freilich darüber diskutieren, ob eine Gesellschaft ohne Religion generell möglich (im Sinne von einigermaßen ordnungsgemäßen Funktionieren) ist, ob sie "sinnvoll" ist, ob sie wegen menschlicher Grundbedürfnisse notwendig ist (vielleicht / höchstwahrscheinlich sind andere Formen kompensatorischer Wirkungen noch viel kontraproduktiver!): eines ist aber auch klar, nämlich daß es in einer pluralistischen, säkularisierten Werteordnung keine wie auch immer umgesetzte Art von Ex-cathedra-Bestimmungsmoral seitens z.B. Kirchen gegenüber einer Gesamtgesellschaft geben darf. So gesehen, ist "Kirche" (und die daraus resultierenden Moralvorstellung z.B. hinsichtlich Sexualität, Umgang mit all dem, was gemeinhin als "Schöpfung" bezeichnet wird, also Flora und Fauna -- unrühmliches alttestamentarisches Diktum, der Mensch solle sich die Erde "untertan" machen ... --, Leben und Tod, Freude und Leid, Sinn und Unsinn, etc.) nur ein Wirk- und Gestaltungsmechanismus unter mehreren anderen in einer Gesellschaftsordnung.
Wenn nun Stimmen kirchlicherseits (bzw. affiner Positionierungen) kategorisch festlegen wollen, der einzelne Mensch habe kein Recht, sein eigenes Leben (das laut jenen Gläubigen bekanntlich von Gott gegeben ist und nur von ihm beendet werden darf), wie es ihm geziemen sollte, zu beenden -- und wir folgen hier einmal jenem Gedankengut -- dann hätte dies natürlich für alle Grenzfälle (zwischen Leben und Tod) zu gelten. Es dürfte da vor allem nicht darüber sozusagen "von außen" entschieden werden, welches Erhalten von Leben zu bevorzugen wäre. Kurz: Niemand dürfte entscheiden, wer zu leben, wer zu sterben hat. Niemand dürfte zum Beispiel eine -- sicherlich hier: aus der Notwendigkeit knapper werdenden Ressourcen -- Abwägung treffen, wem noch zu helfen und wem nicht, wen zu bevorzugen und wen nicht ...
Und hier lehrt uns die durchaus als Katastrophe zu bezeichnende Corona-Epidemie etwas anderes: Plötzlich geraten solche Abwägungen in die Diskussion, nun hat man sich der Tatsache zu stellen, (hart formuliert) man könne unter sich zuspitzenden Situationen nicht mehr allen helfen, man müsse abwägen, letztlich: aussortieren. Übersteigt die Bedürftigkeit an Beatmungsgeräten die Kapazität, sprich: hat man faktisch weniger Geräte als eigentlich notwendig, dann sollen nun "Auslesekriterien" greifen -- es muß entschieden werden, wem man noch hilft und wem nicht mehr. Plötzlich wird das (sicherlich nicht nur aus religiösen Überlegungen getragene) Argument, kein Mensch habe das Recht, über sein Ende frei zu bestimmen, dadurch ausgehöhlt, daß eben nun andere diese Aufgabe, diese "Wahl" zu treffen haben.
STIMMIG IST DAS NICHT! Zumindest wenn man die Argumentation so vieler in der Suiziddebatte in Betracht zieht. Plötzlich suchen (und finden natürlich) jene Kreise das, was man in der Psychologie als Rationalisierung bezeichnet: man sortiert sich die Sachverhalte eben so, wie sie einem nun in den Kram passen. Natürlich weiß man da zu "beschwichtigen" und findet sofort scheinbar relativierende Achtung vor dem menschlichen Leben und dem (plötzlich auf Grund des Mangels beförderten) Sterbeprozeß: jene würden "palliativ" dann bestmöglich auf ihrem Weg ins "Jenseits" begleitet, dies in vollverantwortlicher Weise und in größter Achtung vor dem menschlichen Leben ...
Für mich klingt das alles schon recht zynisch, wie man da versucht, das zu beschönigen, was die Crux ist: Wie umgehen damit, daß nicht mehr allen, die der Hilfe bedürfen, geholfen werden kann. Plötzlich nennt man auch die Dinge nicht mehr beim eigentliche Namen (faktisch werden nämlich "Leben" gegeneinander gewichtet, was eigentlich nicht in unsere sonst üblichen Moralvorstellungen und Ethikgrundsätze passen dürfte!), sondern findet dafür einmal mehr verharmlosende Vokabeln wie z.B. "Triage".
Noch (Stand: 29.03.2020) funktioniert ja die deutsche Intensivmedizin, man hat mit freien Betten vorgesorgt, hat nicht unbedingt notwendige Operationen ausgesetzt um freie Plätze für eventuell notwendig werdende Intensivbehandlungen zu sichern, ja auch ganze Häuser für den Fall der Fälle requiriert, neue Kapazitäten geschaffen, noch gibt es keinen Mangel an Beatmungsgeräten und qualifizierten Klinikpersonal; gleichwohl (und natürlich ist es immer geboten, auch für das schlimmste Szenario sich Gedanken zu machen und wirksame Pläne zu schmieden!) hört man immer mehr aus Politik und Medizin das Nachdenken über jene Zeit, wenn die Kapazitäten nicht mehr ausreichen sollten, wenn also in Kliniken und anderswo nicht mehr genug Leben gerettet werden kann, sondern Leben vorsätzlich beendet wird. Es wird dann eben die befürchtete "Selektion" geben, die man natürlich nicht so nennt; bekannterweise wird in Notsituationen gerne mit Euphemismen gearbeitet oder mit verharmlosend klingendem Vokabular, dies mit dem (meist unausgesprochenen), Ziel, die Beunruhigungen in der Bevölkerung nicht noch weiter zu schüren, gearbeitet. In diesem Kontext spricht man nun statt von "Selektion" (was es ja faktisch wäre!) von "Triage". Mag in manchen Ohren vornehm und harmlos, vielleicht gar verniedlichend klingen, stammt jedoch aus dem Französischen, wo das Verbum "trier" nichts anderes als "aussortieren" meint; der Begriff hat übrigens seine Ursprung in der französischen Militärmedizin des 18. Jahrhunderts. Dieses Triage-Verfahren werde in der Universitätsklinik Staßburg bereits "seit zwei Wochen" angewandt (Der Tagesspiegel, 27.03.2020: "Verwirrung um Triage-Verfahren an Universitäts-Klinik in Straßburg")
Es ist für meine Überlegung hinsichtlich der ethischen Stimmigkeit über die Entscheidung hinsichtlich Leben und Tod (s.o., vor allem: Verweigerung der freien, eigenen Entscheidung) dabei allerdings unerheblich, daß angeblich "die Entscheidung von dem Schweregrad der Krankheit abhängig gemacht wird und nicht etwa von einer Altersgrenze der Patienten." (laut dem Leiter der chirurgischen Anästhesie Paul Michel Mertes, Der Tagesspiegel, ebd.) Die Dramatik wird auch von Ärzten des DIFKM (Deutsche Institut für Katastrophenmedizin) in Tübingen unterstrichen und sie schreiben, daß "sich die Entwicklung, wie sie im Elsass bestehe, bald auch in Deutschland einstellen werde: Eine optimale Vorbereitung sei von 'allerhöchster Dringlichkeit' -- wichtig zu sehen sei dabei, 'dass das Nadelöhr die zu beatmenden Patienten sind'." (Der Tagesspiegel, ebd.) Es heißt also wirklich nicht, den Teufel an die Wand zu malen, wenn man die Deutlichkeit des moralisch-ethischen Dilemmas von Entscheidungen über Hilfe und (notwendig werdender?) Unterlassung thematisiert.
Fakt ist nun für hiesige Verhältnisse, daß "im Falle einer akuten Knappheit (...) auch in deutschen Krankenhäusern (das Ausland wie Italien, Frankreich, Spanien machen uns das längst vor ..., d.V.) Intensiv-Betten nach bestimmten Kriterien verteilt werden. Die Entscheidung über die Zuteilung von Ressourcen müsse medizinisch begründet und gerecht sein, heißt es in einer Handlungsempfehlung, vorgelegt von sieben medizinischen Fachgesellschafteen, darunter die Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, die Gesellschaft füür Anästhesiologie und Intensivmedizin und die Akademie für Ethik in der Medizin." (Gabor Steingart, Morning Briefing: Wie beeinflusst das Coronavirus Deutschland und die Ärzte?, 27. März 2020) Den Unterzeichnern der Handlungsempfehlung gelte als Kriterium "die Wahrscheinlichkeit, ob der Patient die Behandlung überleben wird und danach ein Leben außerhalb der Intensivstation führen kann." (Steingart, ebd.)
Die Handlungsempfehlung besteht aus 11 Seiten und in ihr kann man unter anderem lesen: "Eine Intensivtherapie ist nicht indiziert, wenn der Sterbeprozess unaufhaltsam begonnen hat, die Therapie als medizinisch aussichtslos eingeschätzt wird, weil keine Besserung oder Stabilisierung erwartet wird oder ein Überleben an den dauerhaften Aufenthalt auf der Intensivstation gebunden wäre." (...) "Wenn die Ressourcen nicht ausreichen, muss unausweichlich entschieden werden, welche intensivpflichtigen Patienten akut-/intensivmedizinisch behandelt werden und welche nicht oder nicht mehr." (...) "Dies bedeutet eine Einschränkung der sonst gebotenen patientenzentrierten Behandlungsentscheidungen, was enorme emotionale und moralische Herausforderungen für das Behandlungsteam darstellt." (...)
"Wenn nicht mehr alle kritisch erkrankten Patienten auf die Intensivstation aufgenommen werden können, muss über die Verteilung der begrenzt verfügbaren Ressourcen entschieden werden." (Quelle: Steingart, ebd.)
Vor allem aus den beiden letzten Aussagen wird klar, daß jene Mediziner letztlich hier dann über über Behandlung und Reduzierung der Behandlung, letztlich über Tod und Leben, entscheiden. Oder um es mit Gabor Steingart zu sagen: "Den Medizinern ist bewusst, dass sie damit Gevatter Tod die Tür zum Patientenzimmer öffnen."
Da kommen natürlich auch jene Stimmen ins Spiel, die auch für die schlimmsten Situationen ihre jeweils ureigene Beruhigungspille offerieren, aus der Not noch eine Tugend zu machen scheinen. So meint der Vorsitzende des Ethikrates, der evangelische Theologe Peter Dabrock (er hat für die Bundesregierung ebenfalls Empfehlungen zur Triage erarbeitet), es handele sich hier um "keine Güterabwägung sondern um eine verantwortete Schuldminimierung" und spricht damit sowohl Politiker und Mediziner von Verantwortung frei. Mich wundert es persönlich nicht, daß auch hier wieder kirchlicherseits eine Rechtfertigungsverrenkung erfolgt (er wirkt auf mich zudem einmal mehr sehr chamäleonhaft) ; freilich sollte man diese Formen der Auseinandersetzung in dem Rahmen belassen, in den sie hineingehören: die Meinung einer -- zwar starken, aber gesamtgesellschaftlich doch etwas mehr zurückzunehmenden -- Gruppierung. Weshalb in einer pluralen Gesellschaft gerade ein Vertreter der evangelischen Kirche Vorsitzender des Ethikrates sein muß, das sollte freilich doch etwas kritischer hinterfragt werden!
Wie zutreffend liest sich vor all dem Geschehen aus meiner Sicht da doch das von Gabor Steinhart getroffene Fazit: "Da haben im medizinisch-politischen Komplex die Richtigen zusammen gefunden. Die Mediziner werden zu assoziierten Kabinettsmitgliedern und im Gegenzug sprechen sie den Staat frei von Schuld, einen Staat, der bis heute unfähig ist, Schutzbekleidung für die Ärzte zu organisieren, der die Einreiseregeln für Staaten mit hoher Corona-Infizierung erst spät verschärfte und sich nicht traute Skiferien in Tirol und Karneval im Rheinland zu untersagen. So funktioniert politische Präventivmedizin. Aber die berechtigte Erwartung der Bürger, die bald zu Patienten werden könnten, ist eine andere. Der Staat muss die Ruhe vor dem Sturm nutzen, das deutsche Haus sturmfest zu machen. Die Regierung hat das Mandat Leben zu retten. Ein Mandat, Gevatter Tod die Tür zu öffnen, hat sie nicht. Auch für Minister und Chefärzte gilt das eine Fundamentalgebot, das an höchster Stelle erlassen wurde: Du sollst nicht töten." Treffender, besser, läßt sich die ganze Misere wohl kaum beschreiben ...
All jene, die sich in der Diskussion über "Sterbehilfe", über den "Freitod", über die "Selbstbestimmtheit des Menschen", über sein Recht auf "Selbstbestimmung" so ganz besonders in ihr moralisches Zeug gelegt haben, dabei externe (von mir aus auch: sich auf "Gott" berufende) Vorgaben als sakrosankt gesetzt haben, die haben jetzt ein weiteres Problem: sie finden sich entweder in der Unlogik eigener Argumentation wieder oder aber sie betreten -- wendehalshaft und chamäleongerichtet -- den Pfad eines fragwürdigen "Der-Zweck-heiligt-die-Mittel"-Dilemmas.
Über Schein und Wirklichkeit und entsprechende Kompetenz, was Umsetzung und konkretes Handeln in Problemlagen angeht.
Ergänzend zu meinen Überlegungen zur Coronakrise möchte ich hier kurz dazwischenfügen: Natürlich hat -- vor allem Markus Söder -- ein Teil der eigentlich Verantwortlichen (aus Politik und Bevölkerung!) durch schnelles Handeln bislang zumindest etwas wirksam gegen die Problematik gesteuert. Doch nun erscheint nach doch relativ kurzen, sicherlich uns sehr einschränkenden und notwendigen Maßnahmen schon wieder der Ruf nach Lockerungen der Restriktionen. Viele sehen nun die Demokratie, die Freiheit, den Datenschutz und was weiß ich noch nicht alles in Gefahr. Jetzt die getroffenen Maßnahmen schon wieder aufzuheben, wäre allein schon wegen mangelhaften Kenntnisstands, also auch wegen bislang nicht ausreichender Datenlage, möglicher weiterer Entwicklung verantwortungslos. Nur wer die Gefahren vom Coronavirus gering schätzt, kann jetzt schon fordern, wieder zum sogenannten "normalen" Alltag zurückzukehren. Zieführend dürfte ein solcher Schritt nicht sein, es sei denn, man möchte die Gefahren noch vergrößern ...
Sicherlich ist es richtig, auch jetzt sich schon Gedanken über die "Zeit danach" zu machen, entsprechende Planungen zu unternehmen; wer dies jedoch in den Kontext einer baldigen Aufhebung von Restriktionen stellt, setzt ein falsches Signal und schürt falsche Hoffnungen. Hier sollte man die Warnungen von Experten wie Lothar Wieler (RKI) ernster nehmen; er hält einen "raschen Weg zur Rückkehr" in die bislang gewohnte "Normalität für den falschen Weg" und mahnt: "Aus medizinischer Sicht möchte ich, dass wir alle die räumliche Distanzierung möglichst lange durchhalten". Deutschland stehe "immer noch am Anfang der Welle". Die Menschen müssten die Pandemie "sehr ernst nehmen". (Quelle: tagesschau.de vom 29.03.2020).
Ich meine, wenn hier jemand von politischer Seite mit einem "Der Satz, es sei zu früh, über eine Exit-Strategie nachzudenken, ist falsch" und "Wir müssen schon jetzt die Zeit in den Blick nehmen, in der die rigiden Maßnahmen erste Wirkung zeigen." (so Arnim Lasche in der Welt am Sonntag) aufwartet, dann wirkt das eher wie politisches Schaulaufen und ein durchsichtiger Versuch, sich vermeintlich an die Speerspitze der Rettungsbewegungen zu stellen: Natürlich ist es selbstverständliche Aufgabe der Politik, sich auch jetzt schon Gedanken über die weitere Entwicklung zu machen, immer also auch das zukünftig Mögliche und Notwendige zu bedenken, dies ist also letztlich eine Binsenweisheit; wer jedoch heute bereits faktisch suggeriert, man könne bereits jetzt baldige Ausstiegsszenarien verkündigen, verkennt die wahre Sachlage dieser Epidemie. Vor allem fehlen für zeitliche Planungen und Festlegungen bislang fundierte Grundlagen und Erkenntnisse, so Experten. Wie vage letztlich Laschets Positionierung ist und wohl auch noch lange bleibt, zeigt er doch, wenn er völlig unscharf meint, jetzt sei die Zeit, Maßstäbe für die Rückkehr ins soziale und öffentliche Leben zu entwickeln (sic! d.V.), damit diese Entscheidung anhand transparenter Kriterien erfolge und dafür brauche es einen breitengesellschaftlichen Konsens, und diesr könne "nur auf der Grundlage einer intensiven Abwägung aller medizinischen, sozialen, psychologischen, ethischen, wirtschaftlichen und politischen Implikationen" wachsen. Dann stellt Laschet noch -- die Selbstverständlichkeit -- fest, dieser Prozeß brauche Zeit und folgert aus seiner meines Erachtens wirklich eher banalen Erkenntnis: "Damit wir in der Osterzeit die Maßstäbe kennen und den konsens hergestellt haben, müssen wir jetzt beginnen." (Quelle: tagesschau.de vom 29.03.2020)
Wer würde hier denn bei derartiger Phrasendrescherei (und nur kann ich Laschets Schwadronieren verstehen!) ein 'Heureka!' ausrufen wollen und nicht eher sich gelangweilt abwenden! Reden um des Redens willen, sich weitgehend inhaltsleer, was die tatsächliche Problemlagen angeht, äußern und sich einmal mehr für eine Position an der Spitze der Bundes-CDU untauglich zeigen -- das hat Laschet m.E. hier allenfalls erreicht, mehr nicht.
Wie wohltuend und ehrlich dagegen die letzten Aussagen Angela Merkels (ich bin wahrlich kein Fan von ihr!), die um Geduld bat und vor verfrühten Forderungen nach gelockerten Maßnahmen warnte, dies in Übereinkunft mit ihrem Kanzleramtsminister Helge Braun, daß es vor dem 20. April 2020 keine Lockerung der derzeitigen Einschränkungen geben werde. Auch Finanzminister Olaf Scholz hat gegenüber der "Bild am Sonntag" festgestellt, daß ein Abbau der Maßnahmen nur nach medizinischen, niemals nach ökonomischen Kriterien, erfolgen dürfen, wörtlich: "Ich rate dringend davon ab, eine Lockerung an wirtschaftliche Fragen zu knüpfen."
Und wie nützlich und aufbauend sind vor allem die klaren Worte eine Markus Söder immer wieder, ein Ministerpräsident der in dieser Krise wirklich zielführend zu handeln verstand (und versteht), und dies nachweislich relativ schnell. Wer all die politischen Akteure aufmerksam beobachtet und in ihrem Tun verfolgt, der wird sehr bald die Spreu vom Weizen zu trennen wissen ...
Mit seinem Verkünden von Allgemeinplätzen sowie der zumindest implizit angedeuteten Hoffnung auf schnelle Aufhebung von Sicherheitsmaßnahmen hat Armin Laschet wohl niemanden einen guten Dienst erwiesen! Da sollten wir doch eher jenen folgen, die sachkompetent sich zu äußern vermögen und die auf Grund von Expertenurteilen maßvoll und gleichzeitig wirksam handeln, wie beispielsweise der bayerische Ministerpräsident Markus Söder ... Die Einlösung von Verantwortung im Kontext von moralischem Handeln erfordert eben mehr als nur die Verkündung und Verbreitung von Schlagwörtern und Wunschphantasien!
Viele mögen es womöglich als eine Nebensächlichkeit abtun, ich sehe das jedoch nicht so: Welchen Eindruck macht es denn, wenn jemand (hier: Armin Laschet) öffentlichwirksam mit der vielfach geforderten "Mundschutz- / Atemschutzmaske" auftritt, dabei zeigt, daß er diese nicht richtig anzuwenden versteht (er hatte -- was extrem für denSchutz wichtig ist! -- seine Nase unbedeckt gelassen, also die Schutzmaske "nur" über die Mundpartie gezogen?! Ich denke, daß es oft sehr elementare Dinge sind, die bereits zeigen, wo es mit der Sachkompetenz nicht zum Besten bestellt ist. Wer über Schutzmaßnahmen spricht und zu entscheiden hat, wer sich als sachkompetent darstellt, der (oder die) sollte schon auch das "ABC" einer Thematik beherrschen und damit umzugehen wissen. Gelingt ihm / ihr das nicht, dann darf man sich nicht wundern, wenn in der Öffentlichkeit ein entsprechender Eindruch entsteht bzw. fortgeschrieben wird. (Daß Armin Laschet diesen Fehler dann später in den Sozialen Medien auf eine von ihm sicherlich als humorvoll verstandene Art eingeräumt und korrigiert hat, macht es vielleicht lustiger, aber nicht besser, vor allem ihn kaum kompetenter ...)
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Gut, daß Markus Söder (und einige andere in Verantwortung), seit kurzem auch die Bundekanzlerin, da den Gang eines besonneren Weges anmahnen und nicht den Gedanken beispielsweises eines Armin Laschets folgen. Daß die Wirtschaft hier sich jetzt schon -- wo eigentlich noch nichts wirklich abzusehen ist -- nach Ostern (2020) "eine schrittweise Rückkehr zur Normalität" fordert, zeigt aus meiner Sicht vor allem eines: kapitalistisch orientierte Form von Interessenlage, gebettet auf Ignoranz. (Auch die Wirtschaft sollte sich bewuß machen, daß sie mit einem solchen Wege wohl ans eigene Bein pinkeln würde, denn eine im Übermaß kränkelnde Bevölkerung wird wohl andere Probleme zu lösen haben als sich für die Wirtschaft hinreichend dem Konsum hinzugeben ...) Ich denke (und wünsche mir), daß ein anderer Weg uns die Krise lehren sollte, nämlich den, welchen der Soziologe Professor Aladin El-Mafaalani fordert: "Ich wünsche mir eine Weltgesellschaft, die von Macht und Konkurrenz auf Kooperation, Solidarität und Zusammenhalt umschaltet. Vor Corona dachte ich, es bräuchte Außerirdische dafür. Aber vielleicht sind es winzig kleine Viren, die uns zeigen, dass wir alle im selben Boot sitzen." (in: Gabor Steinhart, Morning Briefing/ Der 8. Tag - Deutschland neu denken, 28.03.2020)
Dieser Gedanke in Richtung Systemwechsel könnte eine sinnvollere Antwort auf eine mögliche Zukunft sein als der, zu denken, es werde sich "danach" schon alles wieder in der gewohnten (aus der Vergangenheit bekannten) Normalität wiederfinden.
Aber auch der Gedanke sollte Normalität werden: Wer moralische und ethische Vorgaben macht, sie quasi zu einer allgemeinen Gesetzgebung (z.B. im Kantschen Sinne des Kategorischen Imperativs) erhebt, der (oder die) sollte zugleich prüfen, inwieweit dies dann auch nachhaltig und wirklich allgemeinverbindlich sein und gelten kann ...
Es bedarf also (offensichtlich bei vielen!) auch eines Systemwechsels im Denken hinsichtlich Machbarkeit, Stimmigkeit, Nachhaltigkeit sowie Respekt vor der Einzigartigkeit der Individuen, damit auch Achtung vor deren jeweiligen Entscheidung über ihr eigenes Leben, was letztlich dann auch die eigene Bestimmung über das Ende eines Lebensweges beinhalten muß.
Zum Schluß an dieser Stelle lese man auch einmal dies (auch in Hinblick auf: fakenews ...) und überlege, wie sinnvoll so eine Aussage überhaupt sein kann:
"Am Ende wird alles gut; und wenn es nicht gut wird, dann war es noch nicht das Ende."
(fälschlich oft "Oscar Wilde" zugeschrieben) *)
*) Diese Aussage ist aus mehrfacher Hinsicht interessant: vor allem zeigt sie einmal mehr, wie schnell etwas jemandem zugeschrieben werden kann und dann ebenso schnell zu einer Art unverrückbarer Tatsache hochstilisiert wird. Belegt ist jedoch vielmehr dieser seit mindestens 1991 auf Portugiesisch verfaßte Spruch mit Fernando Sabino als Autor. (Übrigens wird der Satz stellenweise auch John Lennon zugeschrieben ...). Gegen eine solche Einstellung, also damit auch gegen eine Autorenschaft Oscar Wildes, spricht sicherlich dessen eigene Biographie, auch seine politische Positionierung (er neigte zu sozialistischen Betrachtungs- und Gestaltungweisen innerhalb einer Gesellschaft) sowie seine, wenngleich von ihm selbst gerne überspielte, Rationalität. So sagte er auch einmal: “To the world I seem, by intention on my part, a dilettante and dandy merely – it is not wise to show one’s heart to the world – and as seriousness of manner is the disguise of the fool, folly in its exquisite modes of triviality and indifference and lack of care is the robe of the wise man. In so vulgar an age as this we all need masks.” (in einem Brief vom Februar 1894 an Philip Houghton), eine Aussage, die man vielleicht auch in gegenwärtigen Zeiten oft als angebracht empfinden könnte. Wie wir ja immer wieder erleben können, ist es wirklich nicht immer klug, der Welt das eigene Herz zu zeigen (deshalb auch die "Spielchen" der Täuschung und Verstellungen bis hin zu Lügen nicht nur auf politischer und wirtschaftlicher Ebene, sondern gerade auch bis in den einfachen Alltag hinein), wie häufig ist sicherlich auch "ernsthaftes Verhalten" die Tarnung des Trottels, treiben Belanglosigkeit und Gleichgültigkeit sowie der Mangel an echter Sorge ihre Blüten; und in geschmacklosen Zeiten bedarf es der Maskierungen ... Wer so urteilt, wer so denkt, wird wohl kaum auf ein immer weiter zu verschiebendes Ende abheben, an dem dann zuletzt wirklich "alles gut" sein wird. Oscar Wilde hätte diesen Satz so ganz bestimmt nicht formuliert, sondern vielmehr auf die Lösung in Gegenwärtigkeit gedrängt. Auch hier zeigt sich, wie Moral und Verantwortung sich nicht in eine vage Zukunft verschieben lassen, wenn es doch darum geht, Dinge zeitnah, möglichst unverzüglich und vor allem vorhandener Not gehorchend, in Ordnung zu bringen.
Anmerkung: Oberflächlich betrachtet klingt dieser häufig und gerne zitierte Satz, fälschlicherweise Oscar Wilde zugeschrieben, ja inhaltsschwer und wohl für viele zunächst positiv. Aber trifft diese Sichtweise auch wirklich zu oder verhindert eine derartige Sichweise nicht eher die gründliche Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit? So eine Art Perpetuum Mobile des Optimus? Ich kann nicht umhin, hier zu kritisieren, daß dieses Denken / Hoffen, den Umgang mit zu lösenden Dingen auf etwa einen Sankt Nimmerleinstag verschiebt, eben von der Hoffnung geleitet, irgendwann werde dann schon alles gut werden. Mich erinnert das schon sehr an meine sehr katholisch-gläubige Oma (ich liebte sie übrigens sehr, insofern ist diese Einlassung keine Kritik an ihrer Person, freilich eine an dieser fatalistisch anmutenden Grundhaltung!) mütterlicherseits, die bei größeren Problemen oder gefühlten Drangsalen stets vor sich hinseufzte, das "Himmelvaterle (gemeint war damit natürlich "Gott", d.V.) werde ihr schon mal alles im Jenseits vergelten". Diese Vertröstung auf ein Jenseits (auch wenn man fest daran glaubt!) oder auf andere Projektionsebenen ist jedoch der falsche Weg! Hic et nunc!, so muß die Gestaltungsmaxime lauten; es ist unsinnig auf ein wie immer gedachtes "Ende" zu spekulieren, an dem sich alles in Wohlgefallen auflöst und sollte dieser (paradiesische) Zustand eben immer noch nicht erreicht sein, zu konstatieren, dann sei eben jenes antizipierte "Ende" noch nicht Realität geworden, man müsse also noch geduldig abwarten. Diese Haltung ist gerade nicht die Einlösung von "Verantwortung", kann auch nicht Maxime einer "Moral" sein! Vielmehr ist es eine Art von Unterordnung, von Selbstaufgabe, vor allem ein Aufgeben des Bemühens einer selbstverschuldeten Unmündigkeit zu entrinnen.
Moral und Verantwortung sind keine Seinsbestimmungen, die man nur dann versucht einzulösen, wenn man es sich bequem leisten kann, sondern sie erfahren ihre Gültigkeit vor allem dann, wenn es durch die Umstände schwierig wird, moralisch zu handeln und Verantwortung zu zeigen, eben entsprechend zu leben.
Die Sache mit der Verantwortung ...
Die Frage nach dem Spannungsfeld von Verantwortung einerseits und diese dann auch übernehmen, einlösen, zu können / wollen, hat Noam Chomsky bereits 2017 so beantwortet, daß intellektuelle Menschen die Verantwortung dafür haben, die Wahrheit zu suchen und Lügen als solche auch aufzudecken. (Aufsatz: The Responsibility of Intellectuals) Dieser Gedankenlogik folgend, vertritt er die Auffassung, daß beispielsweise ein "Whistleblower" einer ethischen und moralischen Verantwortung folgt.
Ob man nun Chomsky folgt oder nicht, ob man dessen Eingrenzung von "Verantwortung" als zu eng oder für zu weitgefaßt hält, eines dürfte einleuchtend sein: um beim Beispiel eines Whistleblowers zu bleiben -- er bzw. sie hat für sich entschieden, daß eine Angelegenheit öffentlich zu machen ist, hat dabei offensichtlich die entsprechende (vor allem auch: persönliche) handlungsleitende Wertentscheidung getroffen, handelt dann entsprechend und geht dabei ein (meistens nicht unerhebliches) persönliches Risiko ein. Dies bedeutet: ungeachtet der Tatsache, wie verantwortungsbewußt man da zu handeln glaubt, vor allem auch: wie generalisierend die getroffenen Schlüsse sind, der Whistleblower geht ein persönliches Risiko ein, weil er seinen Prinzipien folgend (nochmals: wie allgemeinverbindlich sie dann auch immer sein mögen) nach außen spürbar handelnd tätig wird, sich eventuell harter Gegenwehr (z.B. durch einen Staat auf der Grundlage seiner Gesetze) aussetzt. Auich soziale Ächtung ist eine dieser Gefahren, diese jeweils davon abhängig, welche Quantität von Bevölkerungskreisen davon jeweils betroffen sind bzw. sich für "zuständig" definieren. Kurz: es handelt sich bei dieser Spezies um Personen der Tat!
Davon sind jedoch all jene abzugrenzen, die lediglich belehren, eine (zumindest nach Legaldefinition noch tolerierbare) Stimmung erzeugen, sich als sakrosankt und im Besitz der "Wahrheit" verstehend öffentlich machen, dies vor allem im Chorgesang entsprechender Beifallzollender betreiben. also ohne dabei zumindest mehr als ein leicht überschaubares Risiko für ihre persönliche Existenz einzugehen. Man könnte jenen Personenkreis durchaus auch als "aktive Mitläufer" bezeichnen, selbst dann, wenn sie innerhalb jener Phalanx als Meinungsführer fungieren. Fakt ist hier: sie befinden sich (noch) in einem geschützten Raum, haben häufig dabei den gerade vorherrschenden Meinungstrend auf ihrer Seite, sind als sozial recht gut eingebettet. Ihre Verantwortung ist überwiegend, den vorherrschenden Mainstream aufrecht zu erhalten, zu verbreiten, die Gesellschaft der Beifallklatschenden zu vergrößern. Auch die Gefahr, bloßgestellt zu werden, ist unbeachtlich, man tut ja schließlich nur das, was seitens allgemein vorherrschendem Narrativ und dominierender Sichtweise erwartet wird. Kurz: man ist folgsam bis hin zur Subalternität -- und tut dies entsprechend (deutlich vernehmbar und sichtbar) kund.
Aber eine Einschränkung ist hinsichtlich der "Mitläufer- und Besserwissergruppierungen" auf jeden Fall zu machen: jene Personen, welche sich aufgrund eigener Denkanstrengungen und daraus resultierender Überlegungen zu einem persönlichen Verhalten gefunden haben, sich also: ganz bewußt für ein konkretes Verhalten auf der Grundlage von Überzeugung, die auf Wissen, auf Sachkenntnis, auf Blick für mögliche Folgen basiert, entschieden haben. Das sind dann -- hoffentlich -- auch jene, die jeweils eine ganz persönliche Haltung und Verantwortung für etwaige Entwicklungen übernehmen würden (einfach ausgedrückt: die nicht irgendwann nach der Devise, was einen denn das Geschwätz von gestern angehe, oder gar mit Leugnung, "dabeigewesen zu sein", sich chamäleonartig aus der eigenen Verantwortung stehlen würden). Also nicht der Typus des krakeelhaften, bisweilen dann auch auf Krawall gebürsteten "Demonstrierers" oder des in persönlicher Indifferenz mitlatschenden "Happeningsuchers"!
Weshalb jedoch Noam Chomsky im Blick auf "Verantwortung" nur auf "Intellektuelle" abhebt, erschließt sich mir nicht! Ich denke, die Suche nach "Wahrheit", das Bemühen um "Rechtschaffenheit", das Angehen gegen "Lügen" (neudeutsch: Fakenews) obliegt gewiß nicht nur Intellektuellen, auch sind sie meiner Meinung (nicht nur psychologisch gesehen) kaum prädestinierter, zu eigenem (dann weitgehend auch: unabhängigerem) Denken zu gelangen als die innerhalb einer Gesellschaft überwiegende Mehrheit der Nicht-Intellektuellen.
Hat Chomsky hier vielleicht die "intellektuelle Verantwortung" (als Konzept aus der Philosophie bekannt als: epistemische Verantwortung) gemeint? Danach haben Menschen (und zwar alle!) eine Verantwortung hinsichtlich dem nur Dinge zu glauben, für die sie einen Beleg haben und dann, bei Fehlen eines solchen Belegs, eben kein Urteil zu fällen. Man spricht hier von einer ethischen Verpflichtung nichts zu übernehmen, wenn die einen Sachverhalt belegen müssenden Fakten (noch) ausstehen. Letztlich ist man aber auch bei diesem Denken: auf dem Weg einer aktiven (einen selbst anstrengenden) Suche nach "Wahrheit", also bei einem Bemühen um sie. Und man sollte sich vor allem niemals scheuen, jene, die "Verantwortung" in reinem Eigennutz und ausbeuterischem Sinn verstehen und dann entsprechend funktionalisieren wollen, in ihrem desaströsen Tun bloßzustellen! Diesen Geistesfrevel kenntlich machen! Eben: Wirkliche Verantwortung übernehmen und nicht "so tun als ob", also "Verantwortung" vorgaukeln!
Verantwortung -- auf der Metaebene betrachtet -- zu übernehmen ohne eine umfassende Faktenkenntnis zu haben dürfte sich meistens schwierig gestalten, da eine notwendige Bedingung dafür das Zulassen von echtem Diskurs ist. (Und daran hapert es in unserer Gesellschaft erheblich! Merke: nicht all das, was "Diskurs" genannt wird, ist auch ein solcher!) Es ist leicht, unzählige Beispiele für die Unfähigkeit, Unlust, intentionale Gesprächsverhinderung, o.ä. zu finden (u.a. in den zumeist unerträglichen Talk-Shows wird man da genauso gut fündig wie beim Erleben von Parlamentsdebatten oder im sogenannten Stammtischambiente). Stellvertretend für andere seien hier einige kontraproduktive "Strategien" und Verhaltensweisen genannt, die wirkliche Kenntnisnahme und damit Übernehmen von Verantwortung verhindern. Weit verbreitet ist das "Ad-hominem"- Vorgehen; hier wird, statt sich auf den Gegenstand, auf die zu klärende Sache zu beschränken, der Angriff auf den anderen als Person praktiziert. Häufig wird hier das Mittel der Diffamierung eingesetzt, dem anderen wird dann meist auch mangelnde Kompetenz und unzureichende Sachkenntnis (bis hin zu Einfalt, Dummheit, Rückständigkeit, Rechtsradikalität o.ä.) zugeschrieben. Eine Debatte kann so natürlich nicht entstehen. Zumal bei derartiger Gesprächsfeindlichkeit die entsprechende Gegenwehr, von ähnlicher Minderqualität, häufig nicht ausbleibt. Dann haben wir es mit einem Tu-quoque-Verhalten zu tun: die Niveaulosigkeit in der Auseinandersetzung wird noch verstärkt, indem man "kontert" etwa mit einem Hinweis, der andere solle erst einmal in den eigenen Spiegel schauen (bildlich verstanden, wird in der Praxis mit entsprechendem Sprachduktus bis hin zur Unflätigkeit "garniert"), mit dem Fingerzeig auf dessen Versagen in der Vergangenheit und anderen alles andere als zielführendem Mundstuhl. Die Amerikaner nennen hier als ein ganz spezielles Negativum das "red-herring"-Ablenkungsmanöver; hier wird vom eigentlichen Diskussionsgegenstand mit Hinweis auf anderes Fehlverhalten abgelenkt (Beispiel: es soll um den Ukraine-Krieg und Rußlands Rolle / Verantwortung diskutiert werden, die Gegenseite verweist nun darauf, was z.B. die Amerikaner alles in der Vergangenheit schon "angerichtet" haben; weiteres Beispiel: die EU wirft Ungarn einen Werteverstoß vor, wobei sie die eigenen Werte als sakrosankt stellt, an denen sich alles andere zu orientieren hat, und die Vorstellungen Ungarns als nicht tragbar definiert: über die "höhere Instanz", über die autoritative Vormachtstellung darf nicht weiter diskutiert werden ...) Die hier verlagerte Themenakzentuierung ist auffällig, sehr markant (eben: rote Farbe des Herings) und in einem anderen Zusammenhang wäre diese Thematik durchaus dikussionswürdig, nicht jedoch im gegenwärtig abzuhandelnden Kontext. Von ähnlichem Diskussionsübel ist das von Diskussionsunfähigen bzw. aus ideologischer Positionierung heraus betriebene "No-true- Scotsman"-Argument: was eigentlich Gegenstand der Diskussion sein sollte, wird zum Dogma erhoben, eine ergebnisoffene Wahrheitssuche wird so unmöglich. (so wenn Ursula von der Leyen sich äußert, daß "echte Europäer sich nicht wie Viktor Orban benehmen" -- hier legt die ernannte (nicht vom Volk gewählte!) EU-Präsidentin bereits aus ihrer Perspektive fest, wie ein "echter Europäer" zu denken und zu argumentieren hat ...). Kein Wunder, wenn man immer wieder das niedere Niveau, besser: das für einen an echter geistiger Auseinandersetzung interessierten Menschen extrem unerträgliche!, erleben muß, wenn gegen die einfachsten Prinzipien diskursiver Auseinandersetzung verstoßen wird! Fazit meistens: man kann jenen, die diese Geistlosigkeit betreiben, nicht mehr zuhören, sie nicht mehr hören, sie wirklich nicht ernst nehmen, schon gar nicht als beispielgebend empfinden. Kein Wunder, wenn sich viele Menschen gerade von den Auseinandersetzungen im Politkontext angewidert und angeekelt empfinden ... Eine sattsam bekannte, weitere Ungezogenheit gegenüber einer Gesprächsdisziplin (und damit gegen jene, die daran interessiert sind, ja auch ein Giftpfeil für die Demokratie!) ist die Verwechslung von Kausalität und Korrelation ("Non-sequitur"-Fehlschluß): es ist eben nicht so -- um ein harmloses Beispiel zu nennen, mit Blick auf Politik lassen sich hier viele andere bis hin zu sehr gefährlichen Auswüchsen finden! --, daß ein vermehrtes Auftreten von Weißstörchen eine höhere Geburtenrate (sofern es eine solche dann geben sollte) bei den Menschen erklärt. Gerade die Corona-Pandemie hat hier auch eine seltsame Auswüchse gezeitigt. Ebenso blödsinnig ist natürlich die -- leider weitverbreitete und dann in einem intersubjektiven Kontext auch noch "stabilisierend" wirkende Methode, sich in Diskussionen des Arguments der Anekdote zu bedienen. Hier handelt es sich natürlich nicht um ein Argument im eigentlichen Sinn des Wortes, sondern vielmehr um ein Pseudo-"Argument", um eine bewußtes oder -- je nach individueller (geistiger) Positionierung -- unbewußtes Täuschungsmanöver bzw. Verlogenheitsszenarium. Ein oder ein paar Fallbeispiel(e) werden aufgezählt und quasi als Daten- und Faktenersatz bemüht; dieser untaugliche Generalisierungsversuch soll dann beispielsweise eine komplexe empirische Datensammlung widerlegen. Derartige "Ausreißer" stehen eben meist nicht als "pars pro totum", sondern wären zunächst jeweils als Einzelfall gründlich zu würdigen, ehe man daraus weiterführende Schlüsse zieht. Daß man jedoch auftretende "Ausreißer" (vom sogenannten "Normalen", von der bisherigen Erkenntnislage abweichend) nicht generell als irrelevant behandeln darf (sprich: es muß gerade auch hier mit wissenschaftlicher Akribie und einer Herausforderung an Analyse gearbeitet werden), zeigen Erkenntnisse um die seinerzeitige Entdeckung schwarzer Schwäne (bis dato galten ja Schwäne ausnahmslos aus weiß ...). Dieses Phänomen führte übrigens in der Folge auch zu dem Terminus technicus "Schwarzer Schwan" als Beschreibung eines unerwarteten Ereignisses. Man wird außer den vorgenannten Fallstricken unschwer noch andere, die Suche nach Wahrheit be- bzw. verhindernde, finden... Leider viel zu viele. Dazu gehört leider auch die zunehmende Unsitte, sich im Ton zu vergreifen, andere zu verteufeln, sich dabei die eigenen Hände in Unschuld zu waschen, um so dann (vermeintlich) edler dazustehen, als der "bessere" Mensch, als der (faktisch böse) "Gutmensch".
Da kann nur immer wieder betont werden, daß alles Wissen einen Vorläufigkeitscharakter hat. Bei entsprechend neuer Erkenntnis ist dann entsprechend eine Korrektur der jeweils bislang gültigen Hypothesen vorzunehmen. Dieses Prinzip lag und liegt letztlich der Fort- und Weiterentwicklung der Menschheit (im guten wie im schlechten Sinn -- Stichwort: Ausbeutung der Natur) zugrunde. Wer sich jedoch der Notwendigkeit, Erkenntnis auch für Falsifikation offenzuhalen, entzieht, verweigert sich auch der Suche nach Wahrheit, dem Weg nach besseren Lösungsstrategien für anstehende Probleme. Eine wirkliche Demokratie kann nicht ohne solide, redliche Debattenkultur bestehen! Nicht Rechtbehalten kann das Ziel von (geistigen) Auseinandersetzungen sein, sondern das Bemühen um Erkenntnissuche, also das Annähern an Wahrheit. Fakt ist (und dafür gibt es bekanntlich immer wieder auch Belege), daß auch ein sogenannter dummer Mensch (bzw. jemand den einer als "dumm" definiert) mit einer Position (die man selbst vielleicht nicht teilt oder mag) richtig liegen könnte, die "bessere" Einsicht haben könnte, und dies sollte in der Praxis von Auseinandersetzungen als Binsenweisheit gehandhabt werden. Anders gewendet: alle Menschen können irren, die sogenannten klugen wie die sogenannten dummen. Auch aus der Sicht der "Klugen", die sicherlich quantitativ betrachtet viel häufiger richtig liegen dürften, darf das nicht in eine kontraproduktive Arroganz abgleiten ... Verantwortung übernehmen -- darum müssen sich letztlich alle in einer Gesellschaft bemühen, Anstrengungen hierzu leisten. Das geht nicht allein durch den Fingerzeig auf andere, sondern fängt bei einem selbst erst einmal an. Dies bedingt also Regungen, Interessen, Ziele, Verzicht, Schwerpunktsetzungen u.ä. immer aus beiden Perspektiven zu betrachten und zu bewerten: mit dem Blick nach innen und gleichzeitig auch nach außen. Und aus diesen Abwägungen kann erst Verantwortung entstehen und konstruktiv umgesetzt werden. Bleibt man hier oberflächlich oder gar gänzlich abstinent, verhält man sich "verworfen" in der mehrfachen Bedeutung des Begriffs, dann besteht große Gefahr in einer Öde zu enden, in einem Zustand der ein Feind wirklicher Verantwortung -- vor allem auch der, sich selbst gegenüber! -- ist, zu verharren.
Wir finden diese Thematik immer wieder auch in der Literatur ausgearbeitet -- das Spannungsfeld zwischen Individuum und Objektwelt, das Dilemma zwischen Laisser-faire und Lenkung / Leitung / Führung, die Brücke zwischen Furcht (vor Handeln) und Mut (als Wagnis, um Neues zu entdecken, zu entfalten). Man muß ja da nicht sogleich sich an Nietzsches "Übermensch"-Konzeption sich orientieren (und damit wohl dann einer permanenten Überforderung mit entsprechenden Belastungsmomenten aussetzen!).
Es sollte bereits mit etwas Bemühen um "Realität" im Umgang mit sich und den Gegebenheiten zunächst gutsein (weitere behutsame und zielgerichete -- nach vorheriger Wertentscheidung für "Ziele"! -- Schritte mögen dann folgen)! "Übermensch" bewegt sich meiner Meinung nach doch zu sehr hin zu "Überforderung", zu dogmatisch weg von jenem, was Terenz in seiner Komödie "Heauton Timorumenos (= Der Selbstquäler), sicherlich dabei die menschlichen Möglichkeiten relativierend, formulieren läßt: "Homo sum, humani ni(hi)l a me alienum puto (= Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches, denk ich, ist mir fremd.)
Meines Erachtens hat Theodor Fontane sich diesem "Übermensch"-Phänomen zu Recht kritisch angenommen, indem der den alten Herrn Stechlin in seinem Roman Der Stechlin sagen läßt: "Jetzt hat man statt des wirklichen Menschen den sogenannten Übermenschen etabliert; eigentlich gibt es aber bloß noch Untermenschen, und mitunter sind es gerade die, die man durchaus zu einem 'Über' machen will. Ich habe von solchen Leuten gelesen und auch welche gesehn. Ein Glück, daß es, nach meiner Wahrnehmung, immer entschieden komische Figuren sind, sonst könnte man verzweifeln." [Wer hier einmal mehr an Erscheinungen und Streitereien sowie Rechthabereien im Politik-Kontext denkt, wird wohl dafür hinreichend Gründe und Belege gefunden haben ...] Lesen wir da ruhig auch einmal (mehr), die wunderschöne und realitätsnahe Sicht, wie sie in einem bekannten Gedicht zu Tage tritt:
Wenngleich Stefan George (1868 - 1933) sein Gedicht "Der Verworfene" (aus dem Band "Der Teppich des Lebens, 4.Aufl. 1909) in Erinnerung (und wohl mit Kritik) an seine Zeit mit Hugo von Hoffmannsthal nach Jahren der Trennung geschrieben hat, dürfte so mancher im Gedicht ausgedrückter Gedanke durchaus auf andere Bereiche übertragbar sein (das macht ja schließlich auch ein gutes Gedicht aus ...). Wenn es in der zweiten Strophe heißt:
"
Du horchtest ängstlich aus am weg am markte / Dass keine dir verborgne regung sei. / In alle seelen einzuschlüpfen gierig / Blieb deine eigne unbebaut und öd.", dann erinnert mich das auch an jenen Menschen-Typus, der sich stets für andere und anderes verantwortlich fühlt (faktisch eher: so tut als ob, freilich selbst an seinem Guttun nicht zweifelnd), sich selbst dabei vergißt (u.a. ein psychologisches Ablenkungsverhalten ...). Das alles wäre ja weiter nicht schlimm, stünde dahinter nicht der unbewußte Zwang, sich selbst aus dem Wege zu gehen, die eigene Verantwortung für anderes nur vorzutäuschen. Vorzutäuschen deshalb, weil man selbst sich jedes eigenen Risikos entzieht, materielle und sonstige Kosten sowie Belastungen anderen aufbürdet.
Man möchte eben als guter Mensch dastehen (spielt unbelastet die Rolle des "Gutmenschen" ...), als Mensch mit (letztlich vorgespieltem) Verantwortungsbewußtsein und Empathie, ist faktisch jedoch -- mangels jeglicher eigenen Einschränkungen und Risiken -- letztlich nur egoistisch, weil man die Umwelt mit Forderungen nach Übernahme von Verantwortung überhäuft, die Lasten der gesetzten Zumutungen an andere jedoch delegiert, auch entsprechend sozialisiert.
Faktisch ist man hier eben nicht der so viel beschworene gute Mensch, sondern vielmehr der "böse Gutmensch". Dieses Verhalten läßt sich besonders gut für zwei Gruppen von Menschen aufzeigen (und für diese subjektiv tatsächlich auch umsetzen): die erste Gruppe sind diejenigen, die selbst zu wenig haben, als daß sie eine ihren verbalen Impertinenzen korrespondierende Eigenleistung zu begleichen hätten, die zweite Gruppe sind dann jene, welche aus saturierter und (nicht nur materiell) abgesicherter Distanz für die Fortschreibung ihres Lebensstandards nichts befürchten müssen. Angehörige beider Gesellschaftsschichten können abgehoben und risikolos gescheit daherschwätzen, die Privilegierteren dabei eben auch Forderungen (natürlich an andere, nicht an sich selbst ...) erheben und ggf. Zusagen machen, für deren Erfüllung andere dann einzustehen haben (z.B. wenn die EU-Spitze anderen Ländern, zur Zeit vor allem der Ukraine, Versprechungen macht und Zuwendungen zukommen läßt, wenn man Formen von Kriegssprachduktus betreibt (hier aber Vorsicht: vielleicht ist man da schneller Kriegspartizipant als man es sich in seiner Naivität vorstellen konnte ...) -- aber im engen persönlichen Bereich gibt es für dieses Phänomen natürlich ebenfalls unzählige Beispiele ...) "Verworfen" läßt sich mit verkommend seiend, abgelehnt (Beispiel: der verworfene Vorschlag), untauglich seiend übersetzen. Vielleicht ist in diesem Zusammenhang hier "untauglich seiend" das zutrefffende Synonym. Es ist in der Tat untauglich (eine sehr sozialverträgliche Interpretation), wenn Menschen "so tun als ob" und faktisch die Bürde ihres Schein-Tuns anderen auferlegen: man erzeugt beispielsweise eine Situation, Verwerfungen, mit deren Auswüchsen dann gefälligst andere fertig werden sollen und müssen. Das dahintersteckende (psychologische) Motiv spielt dann -- vom Ergebnis aus betrachtet -- keine Rolle mehr, schafft allenfalls eine Einsicht, was da einmal mehr (in der Vergangenheit) schiefgelaufen ist.
Nur ist es fast immer so, daß bereits in den Anfängen so einer desolaten Entwicklung es auch schon immer Leute mit warnenden Stimmen gegeben hatte. Diese wurden allerdings (absichtlich, versehentlich, gleichgültigerweise, o.ä.) nicht (ihrem Inhalt entsprechend) gehört, einem Diskurs entzogen; vielfach findet man da als Technik der "Gegner-Bekämpfung" rabulistische Anwandlungen bis hin zur Verächtlichmachung; auf der eigenen Seite jener "Allwissenden", "Wahrheitsgepachtethabenden", "Gutmenschen", o.ä. wirbeln Arroganz, Besserwisserei, Machtgelüste, Unfähigkeit zum Erfassen komplexer Zusammenhänge und andere diskussionsfeindliche Attitüden.
Der eigentliche kompensatorische Aspekt jener "Besserwisser", "Sendungs- und Belehrungsbewußten" wird natürlich niemals (allenfalls höchst selten) zum Gegenstand einer Überprüfung der jeweiligen Selbstbildnisse. Kurz: wirkliche, vor allem auch: sachliche Kritik ist ersichtlich unerwünscht und ihr wird entsprechend begegnet.
Die Vertreter einer zunächst vordergründig relativ harmlosen Form von dem die eigenen Defekte verbergenden Verhaltensweisen (harmlos, weil in der Auswirkung meist nicht größere Kreise betreffend,für die Einzelnen jedoch durchaus bedeutsam sowohl in negativer oder auch in positiver Hinsicht -- je nach Falllage; besonders problematisch häufig in: Dyaden), hat beispielsweise Wolfgang Schmidbauer als "Hilflose Helfer" (Problematik: das "Helfersyndrom") bezeichnet und dabei festgestellt: "Das Helfer-Syndrom ist eine Verbindung charakteristischer Persönlichkeitsmerkmale, durch die soziale Hilfe auf Kosten der eigenen Entwicklung zu einer starren Lebensform gemacht wird." (W. Schmidbauer, Die hilflosen Helfer. Über die seelische Problematik der helfenden Berufe., 1977, Rowohlt, S. 22) Auch wenn es hier fast ausschließlich um Tätigkeiten im sozialen Berufsbereich geht, gelten die dort aufgezeigten Erkenntnisse beispielsweise auch für (Berufs-)Politiker ebenso, machen jene doch ihren angeblichen oder tatsächlichen Impetus des Dienens, des (tatsächlichen oder nur vorgegebenen) Für-andere-da-Seins immer wieder öffentlich; hier ergibt sich -- z.B. gegenüber Klinikpersonal, Ärzten, Lehrern, Erziehern, Sozialpädagogen, Psychologen, Logopäden, etc. -- allerdings die zusätzliche Problematik einer zumeist räumlichen Distanz des "Helfers" zu seinem "Objekt", was dann nicht selten zu Abgehobenheitsformen im Verhalten und Denken führt, was eventuell korrigierende Feedbacks verhindert (auch über das Mittel bewußten Ignorierens, weil das Feedback vielleicht lästig wirkt, das eigene Selbstbild stört, Unsicherheit hinsichtlich des eigenen Tuns erzeugen könnte, u.a.m.), was als Folge auch de facto -- zumindest was einige Gruppierungen angeht -- zu einer Art von "Staat im Staate" führt: Belehrungssucht, Besserwisserei, Rechthaberei, Distanzbemühungen, Postenerhaltsaspekte und Diffamierung Andersdenkender, sind nur einige der möglichen negativen Auswirkungen. Und erfährt dann jenes ganz bestimmte Politik-Klientel nicht die Aufmerksamkeit, nicht die Zustimmung, nicht die Insubordination, die ihnen ihrer Meinung nach gebührt, dann entwickeln sich und wirken entsprechende (psychische) Abwehrmechanismen. Schließlich versteht sich der Politiker in aller Regel als sowohl höchst-kompetente als auch als eine altruistische Person, sozusagen als Mandatsträger der Fürsorge; bleibt da dann die gewünschte, geforderte, ihm als zustehend empfundene Dankbarkeit aus, findet dann gar noch (unerwünschte) Kritik statt [und die Bandbreite dessen, was da alles als "unerwünscht" definiert wird, ist enorm groß, gewiß auch jeweils von der subjektiven Verfaßtheit und Konstitution abhängig: der Schwache, Identitätsarme verträgt überhaupt keine Kritik, wird im schlimmsten Falle alles ihm nicht "Gefallende" als solche definieren, der Starke, psychisch völlig Gesunde, dagegen empfindet Kritik als konstruktiv, eben als Ansporn für weitere eigene Anstrengungen, für weiteres eigenes Wachsen, Reifen], dann wird es -- wir erleben das tagtäglich -- problematisch ... Beleidigtsein ist da dann noch die "harmloseste" Form der Gegenreaktion, beleidigend werdend schon eher mal die Regel (von anderen mehr oder weniger subtilen Anti-Debatte-Exzessen ganz zu schweigen ...). Schmidbauer verweist hier ganz besonders auf die Problematik narzißtischer Störungen als Ergebnis "verborgener narzißtische(r) Bedürftigkeit" als ein Resultat "gesellschaftliche(r), in die Familien hineingetragene(r) Abwertung narzißtischer Bedürfnisse (...,) die Wurzel vieler Kränkungen und Wunden des Selbstgefühls in den westlichen Kulturen. (...) Verdeckte narzißtische Bedürftigkeit führt zu unklaren und unklärbaren zwischenmenschlichen Situationen, die durch doppelt gebundene Kommunikationen gekennzeichnet sind. (...) Sie führt zu dem Versuch, durch indirekte Aggression, durch die angebliche Verteidigung dritter Personen, durch die Beharrung auf rechthaberischen Idealen andere abzuwerten und damit das eigene Selbst zu erhöhen, ohne jedoch diesen Anspruch faßbar zu machen." (W. Schmidbauer,a.a.O., S.200f.; Hervorh. d.V.) Wesentliche und immer wieder zu beachtende Punkte in diesem sozialen Kontext sind zweifelsohne einmal die Fähigkeit zur Empathie (also sich in andere und anderes einzufühlen, dies zu wollen, dies zuzulassen und vor allem aktiv zu betreiben!) als auch die Bereitschaft zum Perspektivenwechsel. Damit diese (Charakter-)Eigenschaften überhaupt wirksam werden können, muß / müßte man sich von "falschen Idealen" befreien (können), verabschieden.
Ein erster Schritt dazu als notwendige Bedingung zum Erfolg ist: sich jener falschen Ideale bewußt werden bzw. sich diese bewußt machen zu lassen (das geschieht bereits -- sofern man für Gespräche / Diskussionen / Diskurs aufgeschlossen ist -- durch entsprechend konstruktive Alltagskommunikation; in manchen Fällen dürfte das jedoch nicht genügen und es wird der professionellen Hilfe, z.B. Therapien, bedürfen.)
Wolfgang Schmidbauer hat sich auch dieser Problematik angenommen und schreibt in seiner Abhandlung "Alles oder nichts. Über die Destruktivität von Idealen" (Rowohlt, Reinbek b. Hamburg 1980) auf der Grundlagezahlreicher Fallbeispiele:"Die typischen Signale eines destruktiven Ideals sind Einführungsmangel, verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit (genauer: die Unfähigkeit, das eigene Bild der Wirklichkeit mit gleichberechtigten Partnern zu teilen), Mangel an Humor, an Abstand zur eigenen Person und ihren Geltungs- und Vollkommenheitsansprüchen." (S.322) Dabei ist "die Unfähigkeit, sich selbst an den Werten zu orientieren, die anderen gepredigt werden, (...) ein sicheres Zeichen des destruktiven Ideals." (S.331). Und auch hier sind die Folgen von Sozialisation sowie Enkulturation als eine der wesentlichen Ursache solcher Verhaltensorientierung zu sehen: "Die Neigung zur Identifizierung mit einem Größenideal, die Erwartung, soziale Beziehungen nach Wunsch und Belieben zu beherrschen, die Sehnsucht nach und zugleich Angst vor symbiotischer Verschmelzung können in einer solchen Situation entstehen, in dem die kindliche Wunschproduktion nicht durch den Dialog mit einem einfühlenden und aufmerksamen Erwachsenen gestaltet wird, sondern Größenphantasien den Mangel an wirklicher Zuwendung ersetzen." (S.325) Zweifelsohne schlechte Voraussetzungen für Debattenkompetenz oder gar für Diskurs allemal! Wer kompensatorisch die Auseinandersetzung mit seiner (sozialen) Umwelt und seinem (politischen) Umfeld führen "muß" (= also so durch die eigene Entwicklung gezwungenermaßen!) wird zwangsläufig scheitern müssen, entweder als Absicherer und rigoroser Verteidiger des eigenen Status (= die Abschottung vor Kritik und primär Machtverteidigung als Denk- und Haltungsmotiv) oder als Verlierer innerhalb seines eigenen Sozialgefüges in Richtung "Nobody" bzw. "Verlierer" (z.B. in der jeweiligen Partei, Organisation, aber auch in sehr persönlichen Beziehungsfeldern). Warum es jedoch eigentlich gehen sollte: um Abbau von Vorurteilen, um Ringen um die besten Lösungen angesichts bestehender Problemlagen, also um fundiertes Wissen, damit Verantwortung auch einlösbar werden kann. Gibt es diesbezüglich Defizite in unserem Land? Ja! Zahlreiche! Zunehmende! Und das liegt auch an der Reduktion im Sprachverhalten, damit auch an der Vernachlässigkeit (sei es bewußt oder absichtlich) im Denken. Irgendwie gilt da nämlich auch hier: do ut des! Es käme nämlich gerade hier darauf an, nicht nur den anderen die Vernunft zu erschließen, sondern selbst der Vernunft der anderen gegenüber aufgeschlossen zu sein. Womit wir nur einmal mehr dieses Debatten-Prinzip als notwendige Grundhaltung wiederholen: auch der andere könnte ja richtig liegen (selbst wenn wir dies nicht zulassen wollen bzw. in unserer eigenen Verblendung bzw. Überheblichkeit nicht sehen können ...) Mit Condorcet teile ich zunächst einmal die "Spaltung" in Menschen, die glauben, und in diejenige, die nachdenken. Und Alain Finkielkraut bringt es auf den Punkt: "Wildes Denken oder wissenschaftliches Denken, Logos oder barbarische Weisheit, Flickwerk oder Formalisierung -- alle Menschen denken nach, erwidert Lévi-Strass, wobei die leichtgläubigsten und unheilbringendsten diejenigen sind, die sich für die alleinigen Besitzer der Vernunft halten." (Alain Finkielkraut, Die Niederlage des Denkens, Reinbek b. Hamburg 1989, S.63)
Und wie will man denn echte und umfassende Verantwortung übernehmen können, wenn man glaubt, Wahrheit und Vernunft für sich alleine gepachtet zu haben?! Wenn man überwiegend sich faktisch dem (sachlichen!) Gespräch, der Diskussion, der Debatte, dem Diskurs entzieht ... Wenn man dem Plantschen an der (geistigen) Oberfläche Tür und Tor öffnet ... (Eine "panem et circenses"-Ideologie auf allen Feldern!) Alain Finkielkraut ist der Ansicht, daß zwar der Despotismus mittlerweile "geschlagen" sei (m.E. eine mit Vorsicht zu genießende Feststellung!), nicht jedoch der Obskurantismus (= das Bestreben, die Menschen bewußt in Unwissenheit zu halten, was zumindest in Teilen sehr aktiv und zielgerichtet betrieben wird!), meint dabei, daß zumindest "der Verbreitung der Aufklärung kein materielles Hindernis mehr entgegen" stehe und urteilt dennoch recht zutreffend und mit skeptischen Blick auf die Entwicklung: "Nun zerstört die Logik des Konsums die Kultur aber gerade in dem Augenblick, in dem anscheinend die Technik durch Fernsehen und Computereinsatz alles Wissen in die Haushalte bringen kann. Das Wort bleibt bestehen, doch als leere Hülle, bar jeder Idee der Bildung, Weltoffenheit und Seelsorge. Von nun an wird das geistige Leben vom Vergnügungsprinzip -- der postmodernen Form des persönlichen Interesses -- bestimmt. Es geht nicht mehr darum, die Menschen zu autonomen Subjekten heranzubilden, es geht darum, ihren unmittelbaren Gelüsten Genüge zu tun, sie möglichst billig zu unterhalten. Als loses Konglomerat von flüchtigen und zufallsbedingten Bedürfnissen hat das postmoderne Individuum vergessen, daß Freiheit etwas anderes war als die Macht, das Programm zu wechseln, und die Kultur mehr als ein befriedigender Trieb." (Finkielkraut, a.a.O., S.130) Das hat natürlich auch Folgen für den gesamten Lebensbereich, gerade auch -- gut beobachtbar und mit zunehmender einschlägiger Tendenz! -- für das Denken innerhalb der Gestaltung der Politik- und Mediensphäre, was Finkielkraut zu dem Schluß führt: "Früher war das Denken für den Totalitarismus blind, jetzt ist es durch ihn geblendet." (S.131)
Wir sehen, eigentlich ist das selbständige Denken sowie das Schaffen der Voraussetzungen dazu mehr denn je gefragt, aller "Aufklärung" um Trotze. Dieses "sapere aude" (Wage es, weise zu sein) von Horaz, von Immanuel Kant 1784 als Leitspruch der Aufklärung dann in die bekannte Formel "Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!", gegossen, erscheint mir heute wichtiger denn je! Und -- leider -- scheint auch der Begriff "Mut" in diesem Kontext wieder mehr Bedeutung zu erlangen, wo doch eigentlich umfassendes Arbeiten mit dem Verstand gerade in einer Demokratie reine Selbstverständlichkeit, also: Normalität, sein solle ...
Man kann das alles, dieses kritische Denken und Reden, jene Notwendigkeit des Hinterfragens von Vorgegebenem, auch ganz einfach, Anleihen an einem alten Pop-Song nehmend, zusammenfassen -- dieses sapere aude: " Why do I deny all that's accepted true? / Why can't I live my life like I'm expected to? (...) I believe no one's conclusions, I think for myself. / I take nothing for granted, my brain ain't on the shelf. / I've got my views though I'm missed and confused. / Oh what's exactly the matter with me?" (Barry Mc Guire What's exactly the matter with me; Songwriter: P. F. Sloan / Steve Barri)
Fazit: Erkennen wir's, packen wir es an. Das Einlösen wie auch das Einfordern von Verantwortung rufen ...
Der Verworfene
(aus: Der Teppich des Lebens)
Du nahmest alles vor: die schönheit grösse
Den ruhm die liebe früh-erhizten sinns
Im spiel · und als du sie im leben trafest
Erschienen sie verblasst dir nur und schal.
Du horchtest ängstlich aus am weg am markte
Dass keine dir verborgne regung sei ..
In alle seelen einzuschlüpfen gierig
Blieb deine eigne unbebaut und öd.
Du fandest seltne farben schellen scherben
Und warfest sie ins wirre blinde volk
Das überschwoll von preis der dich berauschte ..
Doch heimlich weinst du – in dir saugt ein gram:
Beschämt und unstät blickst du vor den Reinen
Als ob sie in dir läsen .. unwert dir
So kamst du wol geschmückt doch nicht geheiligt
Und ohne kranz zum grossen lebensfest.
(Stefan George, 1868 - 1933)
"So gib mir auch die Zeiten wieder,
Da ich noch selbst im Werden war,
Da sich ein Quell gedrängter Lieder
Ununterbrochen neu gebar."
Johann Wolfgang von Goethe
... demnächst vielleicht dann noch mehr ...
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