Verantwortung
Baerbock
Meinungstrends
Armin Wolf (ORF 2)
Verantwortung
Gedicht: Der Verworfene
Vergänglichkeit
DIE Barockkirche
(Steinhausen)
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Bilder+Gedanken 4
"Ethik ist Ehrfurcht vor dem Willen zum Leben in mir und außer mir."
Albert Schweitzer
"Unser Nächster ist nicht nur der Mensch. Unsere
Nächsten sind alle Wesen. Deshalb glaube ich,
daß der Begriff der Ehrfurcht vor dem Leben unseren
Gedanken der Humanität mehr Tiefe, mehr Größe
und mehr Wirksamkeit verleiht."
Albert Schweitzer
Wer stets zu den Sternen aufblickt, wird bald auf der Nase liegen. (aus Schottland)
Diese Schlagzeile als Folge einer Baerbock-Äußerung stimmt nachdenklich: "Baerbock wird nach strittiger Aussage für russische Propaganda missbraucht" (web.de am 27.01.2023). Warum nachdenklich? Weil, wie ich finde, hier eine falsche Legitimation für zumindest unbedachtes -- um es nicht härter zu formulieren -- Reden der Außenministerin geliefert wird. Medien sollten da schon etwas gründlicher und umfassender berichten und vor allem auch nichts entschuldigen, wo es nichts zu entschuldigen gibt.
Was hat Annalena Baerbock (Grüne) denn gesagt, daß wieder mediale Aufruhr oder zumindest Irritationen entstehen konnten? Sie hatte beim Europarat in Straßburg zum Zusammenhalt der westlichen Verbündeten aufgerufen, wörtlich: "Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander." Es ist natürlich äußerst unbedacht und zeugt nicht von Weitblick und umfassendem Verständnis der tatsächliche politischen Lage, sich derart zu äußern. Sie hätte eigentlich wissen müssen (können?), daß Rußland diese Äußerung für eigene Zwecke funktionalisieren würde. Schließlich betonen wir immer wieder, daß wir keine Kriegspartei sind (und also folglich nicht in einem "Krieg gegen Russland" befinden), es auch nicht werden wollen. Wenn da nun die Außernministerin sich hier sprachlich schlampig, gleichwohl für Wortauslegung trennscharf, äußert, dann kann man nicht davon sprechen, daß jene Anna Baerbock "für russischen Propaganda missbraucht" wird, man sollte vielmehr betonen, daß sie hier einmal mehr sprachlich versagt hat ...
Kein Wunder, daß auf Baerbocks Äußerung hin die Sprecherin des russischen Außenministerums, Maria Sacharowa, eine Erklärung des deutschen Botschafters in Moskau zu "widersprüchlichen" Aussagen aus Berlin forderte: einerseits erkläre Deutschland, in der Ukraine keine Konfliktpartei zu sein, andererseits spreche Baerbock davon, daß die Länder Europas sich im Krieg gegen Russland befänden. Sacharowa im Nachrichtenkanal Telegram: "Verstehen sie selbst, wovon sie da reden?"
Sicherlich, Olaf Scholz wird nicht unermüdlich zu betonen, daß wir uns trotz der Panzerlieferung nicht am Krieg beteiligen ("Nein, auf keinen Fall (...) Es darf keinen Krieg zwischen Russland und der Nato geben."); der Kanzler gehört ja auch zu den besonneren und zurückhaltenderen Personen, wenn es um Unterstützungsmaßnahmen in diesem Krieg geht, er meidet auch -- im Gegensatz zu manchen anderen Politikern und Medien -- jegliche Kriegsrhetorik. Eine Außenministerin sollte da wohl in ihrer Sprache durchaus ähnliche Disziplin üben (können) und nicht durch sprachlich klar akzentuierte Äußerungen (nimmt man ihren Satz wörtlich!) Öl ins Feuer gießen. Daß allerdings die Feststellung von Scholz, wonach Deutschland "keine Konfliktpartei" sei (was das Auswärtige Amt später ebenfalls nochmals betont hat), von Rußland anders betrachtet *) wird, zeigt die Reaktion auf Baerbocks Äußerung. Diese nur als "extrem unglücklichen Versprecher" (so die Sicherheitsexpertin Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik im ZDF-Morgenmagazin) abzutun, wird der Angelegenheit aber auch nicht gerecht. Vielleicht hat die Außenministerin ja subjektiv doch das Gefühl, man befinde sich im Krieg gegen Rußland, vielleicht sieht sie auch auch die unterschiedlichen Wahrnehmungen auf beiden Seiten, was die Definition "Kriegspartei" betrifft. Vielleicht ist es nicht nur ein "unglücklicher Versprecher" sondern ein Freudscher Versprecher (Lapus Linguae) [wie Sigmund Freud es in seinem "Zur Psychopathologie des Alltagslebens" dargestellt hat],, der Annalena Baerbock da unterlaufen ist.
Natürlich sollte man -- dies allerdings nicht nur an die Adresse Rußlands gerichtet -- selbst einen augenscheinlich eindeutig wirkenden Satz stets in seinem Gesamtkontext würdigen, dies allein schon deshalb, um sich nicht dem Verdacht eines (gar beabsichtigten) Scheinverstehens auszusetzen. Wenn jemand derart schlecht, unpräzise, auch: unprofessionell, formuliert, dann darf man sich allerdings auch nicht wundern, daß unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten Tür und Tor geöffnet werden. Jedenfalls ist es nicht sachlogisch, hier von einem "Baerbock wird nach strittiger Aussage für russische Propaganda missbraucht" zu sprechen!
Annalena Baerbock hat hier (einmal mehr) keine diplomatische Weitsicht, keinen Blick für die Gesamtheit politischer Probleme gezeigt, schon gar keine Meisterleistung erbracht. In diesem Zusammenhang fällt mir eine Aussage der österreichischen Aphoristikerin Katharina Eisenlöffel ein: "Zuerst denken und dann reden, unbedachte Worte sind schwer zu korrigieren."
Natürlich wird Baerbocks Fehlleistung (und das ist es doch wohl!) von Teilen der Opposition genüßlich ausgeschlachtet. So sagte der CSU-Generalsekretär Martin Huber: "Annalena Baerbock ist ein massives Sicherheitsrisiko für unser Land." Wer von einer deutschen Kriegsbeteiligung rede, rede Deutschland in einen Krieg hinein. (laut Merkur.de) Der AfD-Co-Chef Tino Chrupalla forderte Baerbocks Entlassung: "Die Bundesaußenministerin setzt mit ihrem unprofessionellen und vorlauten Verhalten Deutschlands Existenz aufs Spiel." (laut Merkur.de) Ähnliche Gedanken twitterte seine Parteikollegin Alice Weidel: ""Der Rücktritt der Außenministerin @ABaerbock ist überfällig. Wer ausdrücklich auf die Interessen der Wähler in Deutschland pfeift, hat in einem Ministeramt nichts mehr verloren."
Zu diesem Gedanken paßt irgendwie auch, was Amira Mohamed Ali, Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, auf Twitter schrieb: Wie abgehoben kann man sein? Klar, bei ihrem Gehalt braucht sie sich über die Strom- und Gasrechnung natürlich nicht zu sorgen. (...) Diese unerträgliche Arroganz ist nicht auszuhalten." Ihre Parteikollegin Sahra Wagenknecht stimmt mit ein: "Eine Außenministerin, die erklärtermaßen nicht die Interessen der dt. Wähler sondern der #Ukraine vertritt & im Interesse der US-Reg. Verhandlungen zur Kriegsbeendigung ablehnt, ist nicht nur eine eklatante Fehlbesetzung, sondern eine Gefahr für unser Land."
Gewiß: kritisierende Politiker sollten mit ihren Kritiken insofern eher etwas zurückhaltender sein, wenn sie selbst häufig das eigene Wirken nicht im Auge behalten (können), sie sollten also keinerlei Abstinenz gegenüber Selbstkritik dadurch betreiben, indem man ersatzweise auf andere zeigt. Redlichkeit und Respekt und vor allem die Suche nach "Wahrheit" sollten stets die Leitlinien von eigenem Denken und Handeln sein und es auch bleiben.
Gleichwohl bei alledem finde ich obendrein, daß Annalena Baerbock hierzulande zu einer der meist überschätzten Personen in der Politik zählt. Persönlich erlebe ich ihr medial vermitteltes Auftreten fast immer als eine Mischung aus einer Art Selbstinszenierung, Großsprecherei und einem Hauch von Modenschau. Jedenfalls empfinde ich Baerbock als eine eher sehr mittelmäßige Politikerin, wobei sie damit allerdings ja in guter Gesellschaft ist ...
Leider hat Baerbock auch hier -- sicherlich ungewollt -- Material geliefert: Eine ganz besonders üble Art der Tatsachenverdrehung betreibt immer wieder der russische Propagandist Wladimir Solowjow (in seiner allabendlichen Talkshow etc.). So griff er sicherlich mit großer Freude begierig Baerbocks Aussage auf: "Sie kämpfen einen Krieg gegen Russland (...) Die Außenministerin des Vierten Reichs hat Russland den Krieg erklärt." Dabei soll er auch noch beleidigende Bemerkungen gemacht haben. Natürlich mag und kann man dessen unsinnige und demagogische Darstellungen hierzulande als Hetzpropaganda empfinden (was letzlich jede Propaganda kennzeichnet!), aber er hat immerhin täglich etwa fünd Millionen Russen als Zuseher und auf Telegram folgen ihm 1,3 Millionen User, auf Twitter sogar noch mehr ... Man sollte gerade solchen Leuten kein Material für ihre propagandistischen Ausführungen liefern, es ihnen also in ihrem Tun nicht leichter machen!
*) So sagte laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax der Kremlsprecher Dmitri Peskow: "Alles, was die Allianz und die von mir erwähnten Hauptstädte (Europas und der USA) tun, wird in Moskau als direkte Beteiligung am Konflikt aufgefasst."
Nicht die erste mißverständliche Aussage Annalena Baerbocks ... Leider ist Frau Baerbock schon mehrmals mit irritierenden Aussagen aufgefallen. Wir erinnern uns bestimmt noch an die Ungereimtheiten, die sie bezüglich ihrer Biographie sich geleistet hatte. Man sollte da -- gerade auch als Person der Öffentlichkeit! -- schon stets der Wirklichkeit entsprechende Darstellungen wählen und sie gründlich auf Richtigkeit und Stimmigkeit überprüfen, ehe man diese dann publiziert. (Man erspart sich damit auf Peinlichkeiten, nachträgliche Korrekturen und Entschuldigungen ...).
ABER mindestens ebenso problematisch ist ihre seinerzeit in Prag (bei der Veranstaltung "Forum 2000") praktizierte Wortakrobatik, als sie mit Blick auf den Krieg in der Ukraine feststellen zu müssen glaubte, es gehe "nicht um eine deutsche Vision, denn wir (sic! d.V.) kämpfen für das, wofür die Ukraine kämpft: Das Recht jedes Landes, seine Zukunft selbst zu bestimmen." Und dann wurde die Außenministerin Baerbock noch deutlicher: "Wir stehen an eurer Seite, solange ihr uns braucht -- dann möchte ich (sic! d.V.) es einlösen, egal, was meine deutschen Wähler denken." (Zunächst wurde aber statt "meine deutschen Wähler" die Aussage "die deutschen Wähler" fälschlicherweise übermittelt.)
Allerdings wurde diese eigentlich eindeutige Aussage "es einlösen, egal, was meine deutschen Wähler denken" unmittelbar nach der eigentlich absehbaren Kritik in der Öffentlichkeit wieder relativiert, garniert mit dem -- in politischen Kreisen nicht gerade unüblichen -- man habe sie falsch verstanden. Wirklich? Falsch verstanden? Was gibt es bei dieser Eindeutigkeit noch falsch zu verstehen? Macht es inhaltlich überhaupt einen großen Unterschied, wenn sie "nur" nicht auf "ihre" Wähler hören möchte und dabei -- vorgeblich -- die restliche Wählerschaft unerwähnt läßt? *)
Ich frage mich da schon, was geht in einer Politikerin da vor, wenn sie derart sorglos und -- man muß es wohlwollenderweise vermuten -- unbedacht in ihre Sprachinventar greift?! Man kann es natürlich auch mit weniger an Verständnis sehen und keine Entschuldigungsgründe für so ein Verhalten suchen. Thorsten Hinz hat es getan: "Die Unzulänglichkeit der Amtsinhaberin ist ein Gemeinplatz: Ihr Mangel an historischer Bildung, die Unfähigkeit zu strategischem und analytischem Denken, die Neigung zum sinnfreien, auf jeden Fall verantwortungslosen Geplapper. Ihre 'feministische Außenpolitik' ziele darauf ab, 'von Anfang an den Genderblick in Ressourcen und Köpfen zu verankern', äußerte sie kürzlich." Hinz bezeichnete dabei Frau Annalena Baerbock als "Hypermoralistin" und merkte an, "niemand ist in Sicht, der ihrem gemeingefährlichen Unfug im Auswärtigen Amt ein Ende macht." (Thorsten Hinz, Ein Haus ohne Hüter, JF 40/22 vom 30.September 2022, S.16)
Nicht groß verwunderlich, daß vor diesen Hintergründen auch schon mal Gedanken wie diese geäußert werden: "Kann es denn wirklich sein, daß Deutschland die Entscheidungen über den Fortgang dieses schrecklichen Krieges alleine in die Hand der Ukraine und ihres Präsidenten legt? Kann es sein, daß die deutsche Außenministerin der Ukraine eine unbefristete Zusage für Waffenlieferungen und zum Beibehalt von Sanktionen gegen Rußland gibt, ohne Rücksicht auf deren Konsequenzen für die eigene Bevölkerung?" (Gerhard Papke, FDP, in seinem Leitartikel "Deutschland zuletzt", JF 37/22, vom 1. September 2022)
Anmerkung: Gerhard Papke wurde seitens FDP wegen einiger seiner Äußerungen allerdings schon mehrfach der Austritt aus der Partei hahegelegt , z.B. weil er sich kritisch zur regenbogenfarbenen Allianz-Arena (München, FC Bayern) geäußert hatte. So sagte der LSBTI-politische Sprecher des FDP-Bundestagsfraktion Jens Brandenburg gegenüber t-online (Bericht vom 21.06.2021): "Wir wissen alle nicht, was Herr Papke noch in einer liberalen Partei macht. Die FDP distanziert sich ständig und auf allen Ebenen von seinen Äußerungen. Der Austritt ist ihm längst nahegelegt." Erläuterung: "LSBTI" ist das Akronym für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen.
*) Das gesamte Zitat von Baerbock lautet übersetzt so (die Veranstaltung war auf Englisch): "Denn wenn ich als Politikerin das Versprechen gebe - und glücklicherweise gibt es in einer Demokratie die Möglichkeit, dass die Leute mir widersprechen und in vier Jahren sagen: 'Sie haben uns nicht die Wahrheit gesagt' -, aber wenn ich dieses Versprechen an die Ukrainer gebe: 'Wir stehen so lange an eurer Seite, wie Ihr uns braucht', dann möchte ich auch liefern, egal, was meine deutschen Wähler denken, aber ich möchte für die ukrainische Bevölkerung liefern." (Quelle: "Egal, was meine Wähler denken": Warum Baerbock kritisiert wird. WDR, Stand: 02.09.2022)
Für diejenigen, die es gerne im Original lesen wollen, hier die relevanten sowie kritisierten Ausschnitte auf Englisch: "We stand with Ukraine as long as they need us (...) If I give the promise to people in Ukraine 'we stand with you as long as you need us' then I want to deliver. - No matter what my German voters think - but I want to deliver to the people of Ukraine. And this is to me why I always want to be frank and clear."
Notwendige Frage: Hat Politik nicht auch auf einen Meinungs- und Stimmungswandel einer Mehrheit der Bevölkerung zu reagieren, kann sie sich völlig davon losgelöst vier Jahre lang beliebig orientieren und auf Grundlage einer solchen Beliebigkeit Versprechungen machen, die auch weiter wirken als nur auf die Begrenztheit einer Legislaturperiode? Hat man also nicht auch während der Legislaturperiode eine ganz besondere Verantwortung gegenüber dem (Wahl-)Volk einzulösen?
Medieninszenierung: Der Unsinn mit "Meinungstrends" hinsichtlich "beliebteste Politiker" ...
Um es vorwegzunehmen: Unsinn ist das hinsichtlich qualitativer Aspekte, jedoch nicht mit Blick auf manipulative Auswirkungen. Wer viel in den Medien erscheint, ungeachtet seiner Qualität -- natürlich vorausgesetzt, daß keine negativen Informationen präsentiert werden! -- steigt auf dieser unseligen Hitparade der momentanen Beliebtheit schnell nach oben. Letztlich eine Spielerei, ein Unterhaltungsszenarium, eine Wichtigtuerei mit zeit- und spaltenführender Auswirkung.
Gut läßt sich das aufzeigen am Beispiel von Boris Pistorius (SPD). Vier Tage nach seiner Vereidigung als Verteidigungsminister -- vorher und nachher intensiv in den Medien dann präsentiert -- steht er auf Platz 1. Also der beliebteste Politiker in Deutschland. So eine Insa-Umfrage im Auftrag der "Bild-Zeitung". Auf Platz 2 demnach Markus Söder (CSU), vom Platz 1 durch Pistorius verdrängt. Annalena Baerbock, die zumindest gefühltermaßen kein Mikrophon ausläßt, auf Platz 3, es folgen Robert Habeck (Grüne), Hendrik Wüst (CDU, Ministerpräsident von NRW). Friedrich Merz (CDU) verschlechterte sich nach diesem Meinungstrend auf Platz 10. (Quelle: Focus online, entnommen 29.01.2023)
Nichts gegen Boris Pistorius, aber er hat in dieser kurzen Zeit noch überhaupt nichts geleistet als deutlich und groß aufgesprochen. Er ist doch gerade erst ins Amt berufen worden t und hat noch gar nichts unter Beweis gestellt. Dennoch des Volkes (genauer: der Befragten) Urteil: Platz 1... Wie will man denn aus dem Reden allein schon erkennen, von welcher Leistungsqualität jemand ist?!
Beides sollte vor einem qualitativen Urteil beachtet werden: Erstens Johann Wolfgan von Goethes "Es ist nicht genug, zu wissen, man muss auch anwenden. Es ist nicht genug, zu wollen, man muss auch tun." (aus: Wilhelm Meisters Wanderjahre) und zweitens Friedrich Schillers "Erst handeln und dann reden!" (aus Maria Stuart, 4. Akt, 6. Auftritt, Leicester)
Wie man sich vor einem Urteil generell (also auch bei Meinungsbefragungen!) positionieren sollte, kann man von Konfuzius lernen: "Ein edler Mensch beurteilt niemanden nur nach seinen Worten. In einer kultivierten Welt blühen Taten, in einer unkultivierten Welt Worte."
Interessant -- für meine Überlegungen hier --: Olaf Scholz, der sich nachweislich eher medial zurückhaltender gibt als so mancher andere und der immerhin die Hauptverantwortung in der Regierung als Kanzler trägt, "nur" auf Platz 9. Besonnenes Auftreten, Zurückhaltung (fast möchte ich sagen: mehr Sein als Schein!), Bescheidenheit u.ä. machen sich jedenfalls in diesem Umfragenunsinn nicht bezahlt. Gut so -- aber das muß man auch wissen, um solche Erhebungen richtig einordnen zu können! Immer wieder fiel mir bei derartigen Umfragen (auch bei der bekannten "Sonntagsfrage" und den mit ihr im Zusammenhang erfaßten Daten) auf: wer viel in den Medien hofiert (also positiv in Szene gesetzt wird = beachtet) wird, hat es gut in diesem Hitparaden-Unsinn, der vor allem über eines gar nichts aussagt: über die tatsächliche Qualität der jeweiligen Personen im politischen Arbeiten.
Gibt es da eine beachtenswerte Wirkung für die gesellschaftliche Praxis? Leider ja, denn der Massenmensch enthält sich nur allzu gerne eigener Meinung, vermeidet die für ihre Bildung erforderliche Anstrengungen, "läuft" also im geistigen Gleichklang des Vorgegebenen mit. Aber der von den Medien allzu gerne beschworenen sachlichen Information dient man damit keineswegs. Man befriedigt (auf einer niedrigen Ebene) bestimmte Ansprüche, man schafft künstlich "Sensation", man senkt das geistige Niveau politischer Kompetenz und Performanz und -- ein weiteres Übel -- man befördert vorhandene narzißtische Komponenten mit dem Ergebnis zur Selbstüberschätzung von Politikern (gilt in anderen Kontexten natürlich gleichermaßen für die dort agierenden Personen!). Schlecht fürs Land ...
Armin Wolf (Journalist, ORF, ZIB 2) über journalistisches Arbeiten: Ich kann mit dem Begriff Haltung tatsächlich relativ wenig anfangen. Also was bedeutet das? Mir geht es tatsächlich mehr um Handwerk. Also, ich glaube, Journalisten sollten das machen, was Carl Bernstein, also der Kompagnon von Herrn Bob Woodward in der Watergate-Affäre, so schön definiert hat. "Journalismus ist der Versuch, der Wahrheit so nah wie nur irgendwie möglich zu kommen". Das ist unser Job. Und den sollen wir handwerklich gut machen. Das heißt, kompetent, sachkundig, fair, mit ergebnisoffener Recherche uns sorgfältig der Wahrheit nähern. Klar, gibt es sozusagen eine gewisse Grundposition. Also: Ich bin ein Journalist in einem demokratischen Gemeinwesen.
Ich weiß nicht, ob ich in einer Diktatur Journalist wäre. Vielleicht wäre ich hoffentlich mutig genug, in einem Untergrund-Medium Journalist zu sein. Ich wäre nicht Journalist bei einem öffentlichen Medium in einer Diktatur. Ich bin Journalist in einem demokratischen Gemeinwesen. Das heißt, ich stehe quasi am Boden des Grundgesetzes.
Die Sache mit der Verantwortung ...
Die Frage nach dem Spannungsfeld von Verantwortung einerseits und diese dann auch übernehmen, einlösen, zu können / wollen, hat Noam Chomsky bereits 2017 so beantwortet, daß intellektuelle Menschen die Verantwortung dafür haben, die Wahrheit zu suchen und Lügen als solche auch aufzudecken. (Aufsatz: The Responsibility of Intellectuals) Dieser Gedankenlogik folgend, vertritt er die Auffassung, daß beispielsweise ein "Whistleblower" einer ethischen und moralischen Verantwortung folgt.
Ob man nun Chomsky folgt oder nicht, ob man dessen Eingrenzung von "Verantwortung" als zu eng oder für zu weitgefaßt hält, eines dürfte einleuchtend sein: um beim Beispiel eines Whistleblowers zu bleiben -- er bzw. sie hat für sich entschieden, daß eine Angelegenheit öffentlich zu machen ist, hat dabei offensichtlich die entsprechende (vor allem auch: persönliche) handlungsleitende Wertentscheidung getroffen, handelt dann entsprechend und geht dabei ein (meistens nicht unerhebliches) persönliches Risiko ein. Dies bedeutet: ungeachtet der Tatsache, wie verantwortungsbewußt man da zu handeln glaubt, vor allem auch: wie generalisierend die getroffenen Schlüsse sind, der Whistleblower geht ein persönliches Risiko ein, weil er seinen Prinzipien folgend (nochmals: wie allgemeinverbindlich sie dann auch immer sein mögen) nach außen spürbar handelnd tätig wird, sich eventuell harter Gegenwehr (z.B. durch einen Staat auf der Grundlage seiner Gesetze) aussetzt. Auich soziale Ächtung ist eine dieser Gefahren, diese jeweils davon abhängig, welche Quantität von Bevölkerungskreisen davon jeweils betroffen sind bzw. sich für "zuständig" definieren. Kurz: es handelt sich bei dieser Spezies um Personen der Tat!
Davon sind jedoch all jene abzugrenzen, die lediglich belehren, eine (zumindest nach Legaldefinition noch tolerierbare) Stimmung erzeugen, sich als sakrosankt und im Besitz der "Wahrheit" verstehend öffentlich machen, dies vor allem im Chorgesang entsprechender Beifallzollender betreiben. also ohne dabei zumindest mehr als ein leicht überschaubares Risiko für ihre persönliche Existenz einzugehen. Man könnte jenen Personenkreis durchaus auch als "aktive Mitläufer" bezeichnen, selbst dann, wenn sie innerhalb jener Phalanx als Meinungsführer fungieren. Fakt ist hier: sie befinden sich (noch) in einem geschützten Raum, haben häufig dabei den gerade vorherrschenden Meinungstrend auf ihrer Seite, sind als sozial recht gut eingebettet. Ihre Verantwortung ist überwiegend, den vorherrschenden Mainstream aufrecht zu erhalten, zu verbreiten, die Gesellschaft der Beifallklatschenden zu vergrößern. Auch die Gefahr, bloßgestellt zu werden, ist unbeachtlich, man tut ja schließlich nur das, was seitens allgemein vorherrschendem Narrativ und dominierender Sichtweise erwartet wird. Kurz: man ist folgsam bis hin zur Subalternität -- und tut dies entsprechend (deutlich vernehmbar und sichtbar) kund.
Aber eine Einschränkung ist hinsichtlich der "Mitläufer- und Besserwissergruppierungen" auf jeden Fall zu machen: jene Personen, welche sich aufgrund eigener Denkanstrengungen und daraus resultierender Überlegungen zu einem persönlichen Verhalten gefunden haben, sich also: ganz bewußt für ein konkretes Verhalten auf der Grundlage von Überzeugung, die auf Wissen, auf Sachkenntnis, auf Blick für mögliche Folgen basiert, entschieden haben. Das sind dann -- hoffentlich -- auch jene, die jeweils eine ganz persönliche Haltung und Verantwortung für etwaige Entwicklungen übernehmen würden (einfach ausgedrückt: die nicht irgendwann nach der Devise, was einen denn das Geschwätz von gestern angehe, oder gar mit Leugnung, "dabeigewesen zu sein", sich chamäleonartig aus der eigenen Verantwortung stehlen würden). Also nicht der Typus des krakeelhaften, bisweilen dann auch auf Krawall gebürsteten "Demonstrierers" oder des in persönlicher Indifferenz mitlatschenden "Happeningsuchers"!
Weshalb jedoch Noam Chomsky im Blick auf "Verantwortung" nur auf "Intellektuelle" abhebt, erschließt sich mir nicht! Ich denke, die Suche nach "Wahrheit", das Bemühen um "Rechtschaffenheit", das Angehen gegen "Lügen" (neudeutsch: Fakenews) obliegt gewiß nicht nur Intellektuellen, auch sind sie meiner Meinung (nicht nur psychologisch gesehen) kaum prädestinierter, zu eigenem (dann weitgehend auch: unabhängigerem) Denken zu gelangen als die innerhalb einer Gesellschaft überwiegende Mehrheit der Nicht-Intellektuellen.
Hat Chomsky hier vielleicht die "intellektuelle Verantwortung" (als Konzept aus der Philosophie bekannt als: epistemische Verantwortung) gemeint? Danach haben Menschen (und zwar alle!) eine Verantwortung hinsichtlich dem nur Dinge zu glauben, für die sie einen Beleg haben und dann, bei Fehlen eines solchen Belegs, eben kein Urteil zu fällen. Man spricht hier von einer ethischen Verpflichtung nichts zu übernehmen, wenn die einen Sachverhalt belegen müssenden Fakten (noch) ausstehen. Letztlich ist man aber auch bei diesem Denken: auf dem Weg einer aktiven (einen selbst anstrengenden) Suche nach "Wahrheit", also bei einem Bemühen um sie. Und man sollte sich vor allem niemals scheuen, jene, die "Verantwortung" in reinem Eigennutz und ausbeuterischem Sinn verstehen und dann entsprechend funktionalisieren wollen, in ihrem desaströsen Tun bloßzustellen! Diesen Geistesfrevel kenntlich machen! Eben: Wirkliche Verantwortung übernehmen und nicht "so tun als ob", also "Verantwortung" vorgaukeln!
Verantwortung -- auf der Metaebene betrachtet -- zu übernehmen ohne eine umfassende Faktenkenntnis zu haben dürfte sich meistens schwierig gestalten, da eine notwendige Bedingung dafür das Zulassen von echtem Diskurs ist. (Und daran hapert es in unserer Gesellschaft erheblich! Merke: nicht all das, was "Diskurs" genannt wird, ist auch ein solcher!) Es ist leicht, unzählige Beispiele für die Unfähigkeit, Unlust, intentionale Gesprächsverhinderung, o.ä. zu finden (u.a. in den zumeist unerträglichen Talk-Shows wird man da genauso gut fündig wie beim Erleben von Parlamentsdebatten oder im sogenannten Stammtischambiente). Stellvertretend für andere seien hier einige kontraproduktive "Strategien" und Verhaltensweisen genannt, die wirkliche Kenntnisnahme und damit Übernehmen von Verantwortung verhindern. Weit verbreitet ist das "Ad-hominem"- Vorgehen; hier wird, statt sich auf den Gegenstand, auf die zu klärende Sache zu beschränken, der Angriff auf den anderen als Person praktiziert. Häufig wird hier das Mittel der Diffamierung eingesetzt, dem anderen wird dann meist auch mangelnde Kompetenz und unzureichende Sachkenntnis (bis hin zu Einfalt, Dummheit, Rückständigkeit, Rechtsradikalität o.ä.) zugeschrieben. Eine Debatte kann so natürlich nicht entstehen. Zumal bei derartiger Gesprächsfeindlichkeit die entsprechende Gegenwehr, von ähnlicher Minderqualität, häufig nicht ausbleibt. Dann haben wir es mit einem Tu-quoque-Verhalten zu tun: die Niveaulosigkeit in der Auseinandersetzung wird noch verstärkt, indem man "kontert" etwa mit einem Hinweis, der andere solle erst einmal in den eigenen Spiegel schauen (bildlich verstanden, wird in der Praxis mit entsprechendem Sprachduktus bis hin zur Unflätigkeit "garniert"), mit dem Fingerzeig auf dessen Versagen in der Vergangenheit und anderen alles andere als zielführendem Mundstuhl. Die Amerikaner nennen hier als ein ganz spezielles Negativum das "red-herring"-Ablenkungsmanöver; hier wird vom eigentlichen Diskussionsgegenstand mit Hinweis auf anderes Fehlverhalten abgelenkt (Beispiel: es soll um den Ukraine-Krieg und Rußlands Rolle / Verantwortung diskutiert werden, die Gegenseite verweist nun darauf, was z.B. die Amerikaner alles in der Vergangenheit schon "angerichtet" haben; weiteres Beispiel: die EU wirft Ungarn einen Werteverstoß vor, wobei sie die eigenen Werte als sakrosankt stellt, an denen sich alles andere zu orientieren hat, und die Vorstellungen Ungarns als nicht tragbar definiert: über die "höhere Instanz", über die autoritative Vormachtstellung darf nicht weiter diskutiert werden ...) Die hier verlagerte Themenakzentuierung ist auffällig, sehr markant (eben: rote Farbe des Herings) und in einem anderen Zusammenhang wäre diese Thematik durchaus dikussionswürdig, nicht jedoch im gegenwärtig abzuhandelnden Kontext. Von ähnlichem Diskussionsübel ist das von Diskussionsunfähigen bzw. aus ideologischer Positionierung heraus betriebene "No-true- Scotsman"-Argument: was eigentlich Gegenstand der Diskussion sein sollte, wird zum Dogma erhoben, eine ergebnisoffene Wahrheitssuche wird so unmöglich. (so wenn Ursula von der Leyen sich äußert, daß "echte Europäer sich nicht wie Viktor Orban benehmen" -- hier legt die ernannte (nicht vom Volk gewählte!) EU-Präsidentin bereits aus ihrer Perspektive fest, wie ein "echter Europäer" zu denken und zu argumentieren hat ...). Kein Wunder, wenn man immer wieder das niedere Niveau, besser: das für einen an echter geistiger Auseinandersetzung interessierten Menschen extrem unerträgliche!, erleben muß, wenn gegen die einfachsten Prinzipien diskursiver Auseinandersetzung verstoßen wird! Fazit meistens: man kann jenen, die diese Geistlosigkeit betreiben, nicht mehr zuhören, sie nicht mehr hören, sie wirklich nicht ernst nehmen, schon gar nicht als beispielgebend empfinden. Kein Wunder, wenn sich viele Menschen gerade von den Auseinandersetzungen im Politkontext angewidert und angeekelt empfinden ... Eine sattsam bekannte, weitere Ungezogenheit gegenüber einer Gesprächsdisziplin (und damit gegen jene, die daran interessiert sind, ja auch ein Giftpfeil für die Demokratie!) ist die Verwechslung von Kausalität und Korrelation ("Non-sequitur"-Fehlschluß): es ist eben nicht so -- um ein harmloses Beispiel zu nennen, mit Blick auf Politik lassen sich hier viele andere bis hin zu sehr gefährlichen Auswüchsen finden! --, daß ein vermehrtes Auftreten von Weißstörchen eine höhere Geburtenrate (sofern es eine solche dann geben sollte) bei den Menschen erklärt. Gerade die Corona-Pandemie hat hier auch eine seltsame Auswüchse gezeitigt. Ebenso blödsinnig ist natürlich die -- leider weitverbreitete und dann in einem intersubjektiven Kontext auch noch "stabilisierend" wirkende Methode, sich in Diskussionen des Arguments der Anekdote zu bedienen. Hier handelt es sich natürlich nicht um ein Argument im eigentlichen Sinn des Wortes, sondern vielmehr um ein Pseudo-"Argument", um eine bewußtes oder -- je nach individueller (geistiger) Positionierung -- unbewußtes Täuschungsmanöver bzw. Verlogenheitsszenarium. Ein oder ein paar Fallbeispiel(e) werden aufgezählt und quasi als Daten- und Faktenersatz bemüht; dieser untaugliche Generalisierungsversuch soll dann beispielsweise eine komplexe empirische Datensammlung widerlegen. Derartige "Ausreißer" stehen eben meist nicht als "pars pro totum", sondern wären zunächst jeweils als Einzelfall gründlich zu würdigen, ehe man daraus weiterführende Schlüsse zieht. Daß man jedoch auftretende "Ausreißer" (vom sogenannten "Normalen", von der bisherigen Erkenntnislage abweichend) nicht generell als irrelevant behandeln darf (sprich: es muß gerade auch hier mit wissenschaftlicher Akribie und einer Herausforderung an Analyse gearbeitet werden), zeigen Erkenntnisse um die seinerzeitige Entdeckung schwarzer Schwäne (bis dato galten ja Schwäne ausnahmslos aus weiß ...). Dieses Phänomen führte übrigens in der Folge auch zu dem Terminus technicus "Schwarzer Schwan" als Beschreibung eines unerwarteten Ereignisses. Man wird außer den vorgenannten Fallstricken unschwer noch andere, die Suche nach Wahrheit be- bzw. verhindernde, finden... Leider viel zu viele. Dazu gehört leider auch die zunehmende Unsitte, sich im Ton zu vergreifen, andere zu verteufeln, sich dabei die eigenen Hände in Unschuld zu waschen, um so dann (vermeintlich) edler dazustehen, als der "bessere" Mensch, als der (faktisch böse) "Gutmensch".
Da kann nur immer wieder betont werden, daß alles Wissen einen Vorläufigkeitscharakter hat. Bei entsprechend neuer Erkenntnis ist dann entsprechend eine Korrektur der jeweils bislang gültigen Hypothesen vorzunehmen. Dieses Prinzip lag und liegt letztlich der Fort- und Weiterentwicklung der Menschheit (im guten wie im schlechten Sinn -- Stichwort: Ausbeutung der Natur) zugrunde. Wer sich jedoch der Notwendigkeit, Erkenntnis auch für Falsifikation offenzuhalen, entzieht, verweigert sich auch der Suche nach Wahrheit, dem Weg nach besseren Lösungsstrategien für anstehende Probleme. Eine wirkliche Demokratie kann nicht ohne solide, redliche Debattenkultur bestehen! Nicht Rechtbehalten kann das Ziel von (geistigen) Auseinandersetzungen sein, sondern das Bemühen um Erkenntnissuche, also das Annähern an Wahrheit. Fakt ist (und dafür gibt es bekanntlich immer wieder auch Belege), daß auch ein sogenannter dummer Mensch (bzw. jemand den einer als "dumm" definiert) mit einer Position (die man selbst vielleicht nicht teilt oder mag) richtig liegen könnte, die "bessere" Einsicht haben könnte, und dies sollte in der Praxis von Auseinandersetzungen als Binsenweisheit gehandhabt werden. Anders gewendet: alle Menschen können irren, die sogenannten klugen wie die sogenannten dummen. Auch aus der Sicht der "Klugen", die sicherlich quantitativ betrachtet viel häufiger richtig liegen dürften, darf das nicht in eine kontraproduktive Arroganz abgleiten ... Verantwortung übernehmen -- darum müssen sich letztlich alle in einer Gesellschaft bemühen, Anstrengungen hierzu leisten. Das geht nicht allein durch den Fingerzeig auf andere, sondern fängt bei einem selbst erst einmal an. Dies bedingt also Regungen, Interessen, Ziele, Verzicht, Schwerpunktsetzungen u.ä. immer aus beiden Perspektiven zu betrachten und zu bewerten: mit dem Blick nach innen und gleichzeitig auch nach außen. Und aus diesen Abwägungen kann erst Verantwortung entstehen und konstruktiv umgesetzt werden. Bleibt man hier oberflächlich oder gar gänzlich abstinent, verhält man sich "verworfen" in der mehrfachen Bedeutung des Begriffs, dann besteht große Gefahr in einer Öde zu enden, in einem Zustand der ein Feind wirklicher Verantwortung -- vor allem auch der, sich selbst gegenüber! -- ist, zu verharren.
Wir finden diese Thematik immer wieder auch in der Literatur ausgearbeitet -- das Spannungsfeld zwischen Individuum und Objektwelt, das Dilemma zwischen Laisser-faire und Lenkung / Leitung / Führung, die Brücke zwischen Furcht (vor Handeln) und Mut (als Wagnis, um Neues zu entdecken, zu entfalten). Man muß ja da nicht sogleich sich an Nietzsches "Übermensch"-Konzeption sich orientieren (und damit wohl dann einer permanenten Überforderung mit entsprechenden Belastungsmomenten aussetzen!).
Es sollte bereits mit etwas Bemühen um "Realität" im Umgang mit sich und den Gegebenheiten zunächst gutsein (weitere behutsame und zielgerichete -- nach vorheriger Wertentscheidung für "Ziele"! -- Schritte mögen dann folgen)! "Übermensch" bewegt sich meiner Meinung nach doch zu sehr hin zu "Überforderung", zu dogmatisch weg von jenem, was Terenz in seiner Komödie "Heauton Timorumenos (= Der Selbstquäler), sicherlich dabei die menschlichen Möglichkeiten relativierend, formulieren läßt: "Homo sum, humani ni(hi)l a me alienum puto (= Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches, denk ich, ist mir fremd.)
Meines Erachtens hat Theodor Fontane sich diesem "Übermensch"-Phänomen zu Recht kritisch angenommen, indem der den alten Herrn Stechlin in seinem Roman Der Stechlin sagen läßt: "Jetzt hat man statt des wirklichen Menschen den sogenannten Übermenschen etabliert; eigentlich gibt es aber bloß noch Untermenschen, und mitunter sind es gerade die, die man durchaus zu einem 'Über' machen will. Ich habe von solchen Leuten gelesen und auch welche gesehn. Ein Glück, daß es, nach meiner Wahrnehmung, immer entschieden komische Figuren sind, sonst könnte man verzweifeln." [Wer hier einmal mehr an Erscheinungen und Streitereien sowie Rechthabereien im Politik-Kontext denkt, wird wohl dafür hinreichend Gründe und Belege gefunden haben ...] Lesen wir da ruhig auch einmal (mehr), die wunderschöne und realitätsnahe Sicht, wie sie in einem bekannten Gedicht zu Tage tritt:
Wenngleich Stefan George (1868 - 1933) sein Gedicht "Der Verworfene" (aus dem Band "Der Teppich des Lebens, 4.Aufl. 1909) in Erinnerung (und wohl mit Kritik) an seine Zeit mit Hugo von Hoffmannsthal nach Jahren der Trennung geschrieben hat, dürfte so mancher im Gedicht ausgedrückter Gedanke durchaus auf andere Bereiche übertragbar sein (das macht ja schließlich auch ein gutes Gedicht aus ...). Wenn es in der zweiten Strophe heißt: "Du horchtest ängstlich aus am weg am markte / Dass keine dir verborgne regung sei. / In alle seelen einzuschlüpfen gierig / Blieb deine eigne unbebaut und öd.", dann erinnert mich das auch an jenen Menschen-Typus, der sich stets für andere und anderes verantwortlich fühlt (faktisch eher: so tut als ob, freilich selbst an seinem Guttun nicht zweifelnd), sich selbst dabei vergißt (u.a. ein psychologisches Ablenkungsverhalten ...). Das alles wäre ja weiter nicht schlimm, stünde dahinter nicht der unbewußte Zwang, sich selbst aus dem Wege zu gehen, die eigene Verantwortung für anderes nur vorzutäuschen. Vorzutäuschen deshalb, weil man selbst sich jedes eigenen Risikos entzieht, materielle und sonstige Kosten sowie Belastungen anderen aufbürdet. Man möchte eben als guter Mensch dastehen (spielt unbelastet die Rolle des "Gutmenschen" ...), als Mensch mit (letztlich vorgespieltem) Verantwortungsbewußtsein und Empathie, ist faktisch jedoch -- mangels jeglicher eigenen Einschränkungen und Risiken -- letztlich nur egoistisch, weil man die Umwelt mit Forderungen nach Übernahme von Verantwortung überhäuft, die Lasten der gesetzten Zumutungen an andere jedoch delegiert, auch entsprechend sozialisiert. Faktisch ist man hier eben nicht der so viel beschworene gute Mensch, sondern vielmehr der "böse Gutmensch". Dieses Verhalten läßt sich besonders gut für zwei Gruppen von Menschen aufzeigen (und für diese subjektiv tatsächlich auch umsetzen): die erste Gruppe sind diejenigen, die selbst zu wenig haben, als daß sie eine ihren verbalen Impertinenzen korrespondierende Eigenleistung zu begleichen hätten, die zweite Gruppe sind dann jene, welche aus saturierter und (nicht nur materiell) abgesicherter Distanz für die Fortschreibung ihres Lebensstandards nichts befürchten müssen. Angehörige beider Gesellschaftsschichten können abgehoben und risikolos gescheit daherschwätzen, die Privilegierteren dabei eben auch Forderungen (natürlich an andere, nicht an sich selbst ...) erheben und ggf. Zusagen machen, für deren Erfüllung andere dann einzustehen haben (z.B. wenn die EU-Spitze anderen Ländern, zur Zeit vor allem der Ukraine, Versprechungen macht und Zuwendungen zukommen läßt, wenn man Formen von Kriegssprachduktus betreibt (hier aber Vorsicht: vielleicht ist man da schneller Kriegspartizipant als man es sich in seiner Naivität vorstellen konnte ...) -- aber im engen persönlichen Bereich gibt es für dieses Phänomen natürlich ebenfalls unzählige Beispiele ...) "Verworfen" läßt sich mit verkommend seiend, abgelehnt (Beispiel: der verworfene Vorschlag), untauglich seiend übersetzen. Vielleicht ist in diesem Zusammenhang hier "untauglich seiend" das zutrefffende Synonym. Es ist in der Tat untauglich (eine sehr sozialverträgliche Interpretation), wenn Menschen "so tun als ob" und faktisch die Bürde ihres Schein-Tuns anderen auferlegen: man erzeugt beispielsweise eine Situation, Verwerfungen, mit deren Auswüchsen dann gefälligst andere fertig werden sollen und müssen. Das dahintersteckende (psychologische) Motiv spielt dann -- vom Ergebnis aus betrachtet -- keine Rolle mehr, schafft allenfalls eine Einsicht, was da einmal mehr (in der Vergangenheit) schiefgelaufen ist.
Nur ist es fast immer so, daß bereits in den Anfängen so einer desolaten Entwicklung es auch schon immer Leute mit warnenden Stimmen gegeben hatte. Diese wurden allerdings (absichtlich, versehentlich, gleichgültigerweise, o.ä.) nicht (ihrem Inhalt entsprechend) gehört, einem Diskurs entzogen; vielfach findet man da als Technik der "Gegner-Bekämpfung" rabulistische Anwandlungen bis hin zur Verächtlichmachung; auf der eigenen Seite jener "Allwissenden", "Wahrheitsgepachtethabenden", "Gutmenschen", o.ä. wirbeln Arroganz, Besserwisserei, Machtgelüste, Unfähigkeit zum Erfassen komplexer Zusammenhänge und andere diskussionsfeindliche Attitüden.
Der eigentliche kompensatorische Aspekt jener "Besserwisser", "Sendungs- und Belehrungsbewußten" wird natürlich niemals (allenfalls höchst selten) zum Gegenstand einer Überprüfung der jeweiligen Selbstbildnisse. Kurz: wirkliche, vor allem auch: sachliche Kritik ist ersichtlich unerwünscht und ihr wird entsprechend begegnet.
Die Vertreter einer zunächst vordergründig relativ harmlosen Form von dem die eigenen Defekte verbergenden Verhaltensweisen (harmlos, weil in der Auswirkung meist nicht größere Kreise betreffend,für die Einzelnen jedoch durchaus bedeutsam sowohl in negativer oder auch in positiver Hinsicht -- je nach Falllage; besonders problematisch häufig in: Dyaden), hat beispielsweise Wolfgang Schmidbauer als "Hilflose Helfer" (Problematik: das "Helfersyndrom") bezeichnet und dabei festgestellt: "Das Helfer-Syndrom ist eine Verbindung charakteristischer Persönlichkeitsmerkmale, durch die soziale Hilfe auf Kosten der eigenen Entwicklung zu einer starren Lebensform gemacht wird." (W. Schmidbauer, Die hilflosen Helfer. Über die seelische Problematik der helfenden Berufe., 1977, Rowohlt, S. 22) Auch wenn es hier fast ausschließlich um Tätigkeiten im sozialen Berufsbereich geht, gelten die dort aufgezeigten Erkenntnisse beispielsweise auch für (Berufs-)Politiker ebenso, machen jene doch ihren angeblichen oder tatsächlichen Impetus des Dienens, des (tatsächlichen oder nur vorgegebenen) Für-andere-da-Seins immer wieder öffentlich; hier ergibt sich -- z.B. gegenüber Klinikpersonal, Ärzten, Lehrern, Erziehern, Sozialpädagogen, Psychologen, Logopäden, etc. -- allerdings die zusätzliche Problematik einer zumeist räumlichen Distanz des "Helfers" zu seinem "Objekt", was dann nicht selten zu Abgehobenheitsformen im Verhalten und Denken führt, was eventuell korrigierende Feedbacks verhindert (auch über das Mittel bewußten Ignorierens, weil das Feedback vielleicht lästig wirkt, das eigene Selbstbild stört, Unsicherheit hinsichtlich des eigenen Tuns erzeugen könnte, u.a.m.), was als Folge auch de facto -- zumindest was einige Gruppierungen angeht -- zu einer Art von "Staat im Staate" führt: Belehrungssucht, Besserwisserei, Rechthaberei, Distanzbemühungen, Postenerhaltsaspekte und Diffamierung Andersdenkender, sind nur einige der möglichen negativen Auswirkungen. Und erfährt dann jenes ganz bestimmte Politik-Klientel nicht die Aufmerksamkeit, nicht die Zustimmung, nicht die Insubordination, die ihnen ihrer Meinung nach gebührt, dann entwickeln sich und wirken entsprechende (psychische) Abwehrmechanismen. Schließlich versteht sich der Politiker in aller Regel als sowohl höchst-kompetente als auch als eine altruistische Person, sozusagen als Mandatsträger der Fürsorge; bleibt da dann die gewünschte, geforderte, ihm als zustehend empfundene Dankbarkeit aus, findet dann gar noch (unerwünschte) Kritik statt [und die Bandbreite dessen, was da alles als "unerwünscht" definiert wird, ist enorm groß, gewiß auch jeweils von der subjektiven Verfaßtheit und Konstitution abhängig: der Schwache, Identitätsarme verträgt überhaupt keine Kritik, wird im schlimmsten Falle alles ihm nicht "Gefallende" als solche definieren, der Starke, psychisch völlig Gesunde, dagegen empfindet Kritik als konstruktiv, eben als Ansporn für weitere eigene Anstrengungen, für weiteres eigenes Wachsen, Reifen], dann wird es -- wir erleben das tagtäglich -- problematisch ... Beleidigtsein ist da dann noch die "harmloseste" Form der Gegenreaktion, beleidigend werdend schon eher mal die Regel (von anderen mehr oder weniger subtilen Anti-Debatte-Exzessen ganz zu schweigen ...). Schmidbauer verweist hier ganz besonders auf die Problematik narzißtischer Störungen als Ergebnis "verborgener narzißtische(r) Bedürftigkeit" als ein Resultat "gesellschaftliche(r), in die Familien hineingetragene(r) Abwertung narzißtischer Bedürfnisse (...,) die Wurzel vieler Kränkungen und Wunden des Selbstgefühls in den westlichen Kulturen. (...) Verdeckte narzißtische Bedürftigkeit führt zu unklaren und unklärbaren zwischenmenschlichen Situationen, die durch doppelt gebundene Kommunikationen gekennzeichnet sind. (...) Sie führt zu dem Versuch, durch indirekte Aggression, durch die angebliche Verteidigung dritter Personen, durch die Beharrung auf rechthaberischen Idealen andere abzuwerten und damit das eigene Selbst zu erhöhen, ohne jedoch diesen Anspruch faßbar zu machen." (W. Schmidbauer,a.a.O., S.200f.; Hervorh. d.V.) Wesentliche und immer wieder zu beachtende Punkte in diesem sozialen Kontext sind zweifelsohne einmal die Fähigkeit zur Empathie (also sich in andere und anderes einzufühlen, dies zu wollen, dies zuzulassen und vor allem aktiv zu betreiben!) als auch die Bereitschaft zum Perspektivenwechsel. Damit diese (Charakter-)Eigenschaften überhaupt wirksam werden können, muß / müßte man sich von "falschen Idealen" befreien (können), verabschieden.
Ein erster Schritt dazu als notwendige Bedingung zum Erfolg ist: sich jener falschen Ideale bewußt werden bzw. sich diese bewußt machen zu lassen (das geschieht bereits -- sofern man für Gespräche / Diskussionen / Diskurs aufgeschlossen ist -- durch entsprechend konstruktive Alltagskommunikation; in manchen Fällen dürfte das jedoch nicht genügen und es wird der professionellen Hilfe, z.B. Therapien, bedürfen.)
Wolfgang Schmidbauer hat sich auch dieser Problematik angenommen und schreibt in seiner Abhandlung "Alles oder nichts. Über die Destruktivität von Idealen" (Rowohlt, Reinbek b. Hamburg 1980) auf der Grundlagezahlreicher Fallbeispiele:"Die typischen Signale eines destruktiven Ideals sind Einführungsmangel, verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit (genauer: die Unfähigkeit, das eigene Bild der Wirklichkeit mit gleichberechtigten Partnern zu teilen), Mangel an Humor, an Abstand zur eigenen Person und ihren Geltungs- und Vollkommenheitsansprüchen." (S.322) Dabei ist "die Unfähigkeit, sich selbst an den Werten zu orientieren, die anderen gepredigt werden, (...) ein sicheres Zeichen des destruktiven Ideals." (S.331). Und auch hier sind die Folgen von Sozialisation sowie Enkulturation als eine der wesentlichen Ursache solcher Verhaltensorientierung zu sehen: "Die Neigung zur Identifizierung mit einem Größenideal, die Erwartung, soziale Beziehungen nach Wunsch und Belieben zu beherrschen, die Sehnsucht nach und zugleich Angst vor symbiotischer Verschmelzung können in einer solchen Situation entstehen, in dem die kindliche Wunschproduktion nicht durch den Dialog mit einem einfühlenden und aufmerksamen Erwachsenen gestaltet wird, sondern Größenphantasien den Mangel an wirklicher Zuwendung ersetzen." (S.325) Zweifelsohne schlechte Voraussetzungen für Debattenkompetenz oder gar für Diskurs allemal! Wer kompensatorisch die Auseinandersetzung mit seiner (sozialen) Umwelt und seinem (politischen) Umfeld führen "muß" (= also so durch die eigene Entwicklung gezwungenermaßen!) wird zwangsläufig scheitern müssen, entweder als Absicherer und rigoroser Verteidiger des eigenen Status (= die Abschottung vor Kritik und primär Machtverteidigung als Denk- und Haltungsmotiv) oder als Verlierer innerhalb seines eigenen Sozialgefüges in Richtung "Nobody" bzw. "Verlierer" (z.B. in der jeweiligen Partei, Organisation, aber auch in sehr persönlichen Beziehungsfeldern). Warum es jedoch eigentlich gehen sollte: um Abbau von Vorurteilen, um Ringen um die besten Lösungen angesichts bestehender Problemlagen, also um fundiertes Wissen, damit Verantwortung auch einlösbar werden kann. Gibt es diesbezüglich Defizite in unserem Land? Ja! Zahlreiche! Zunehmende! Und das liegt auch an der Reduktion im Sprachverhalten, damit auch an der Vernachlässigkeit (sei es bewußt oder absichtlich) im Denken. Irgendwie gilt da nämlich auch hier: do ut des! Es käme nämlich gerade hier darauf an, nicht nur den anderen die Vernunft zu erschließen, sondern selbst der Vernunft der anderen gegenüber aufgeschlossen zu sein. Womit wir nur einmal mehr dieses Debatten-Prinzip als notwendige Grundhaltung wiederholen: auch der andere könnte ja richtig liegen (selbst wenn wir dies nicht zulassen wollen bzw. in unserer eigenen Verblendung bzw. Überheblichkeit nicht sehen können ...) Mit Condorcet teile ich zunächst einmal die "Spaltung" in Menschen, die glauben, und in diejenige, die nachdenken. Und Alain Finkielkraut bringt es auf den Punkt: "Wildes Denken oder wissenschaftliches Denken, Logos oder barbarische Weisheit, Flickwerk oder Formalisierung -- alle Menschen denken nach, erwidert Lévi-Strass, wobei die leichtgläubigsten und unheilbringendsten diejenigen sind, die sich für die alleinigen Besitzer der Vernunft halten." (Alain Finkielkraut, Die Niederlage des Denkens, Reinbek b. Hamburg 1989, S.63)
Und wie will man denn echte und umfassende Verantwortung übernehmen können, wenn man glaubt, Wahrheit und Vernunft für sich alleine gepachtet zu haben?! Wenn man überwiegend sich faktisch dem (sachlichen!) Gespräch, der Diskussion, der Debatte, dem Diskurs entzieht ... Wenn man dem Plantschen an der (geistigen) Oberfläche Tür und Tor öffnet ... (Eine "panem et circenses"-Ideologie auf allen Feldern!) Alain Finkielkraut ist der Ansicht, daß zwar der Despotismus mittlerweile "geschlagen" sei (m.E. eine mit Vorsicht zu genießende Feststellung!), nicht jedoch der Obskurantismus (= das Bestreben, die Menschen bewußt in Unwissenheit zu halten, was zumindest in Teilen sehr aktiv und zielgerichtet betrieben wird!), meint dabei, daß zumindest "der Verbreitung der Aufklärung kein materielles Hindernis mehr entgegen" stehe und urteilt dennoch recht zutreffend und mit skeptischen Blick auf die Entwicklung: "Nun zerstört die Logik des Konsums die Kultur aber gerade in dem Augenblick, in dem anscheinend die Technik durch Fernsehen und Computereinsatz alles Wissen in die Haushalte bringen kann. Das Wort bleibt bestehen, doch als leere Hülle, bar jeder Idee der Bildung, Weltoffenheit und Seelsorge. Von nun an wird das geistige Leben vom Vergnügungsprinzip -- der postmodernen Form des persönlichen Interesses -- bestimmt. Es geht nicht mehr darum, die Menschen zu autonomen Subjekten heranzubilden, es geht darum, ihren unmittelbaren Gelüsten Genüge zu tun, sie möglichst billig zu unterhalten. Als loses Konglomerat von flüchtigen und zufallsbedingten Bedürfnissen hat das postmoderne Individuum vergessen, daß Freiheit etwas anderes war als die Macht, das Programm zu wechseln, und die Kultur mehr als ein befriedigender Trieb." (Finkielkraut, a.a.O., S.130) Das hat natürlich auch Folgen für den gesamten Lebensbereich, gerade auch -- gut beobachtbar und mit zunehmender einschlägiger Tendenz! -- für das Denken innerhalb der Gestaltung der Politik- und Mediensphäre, was Finkielkraut zu dem Schluß führt: "Früher war das Denken für den Totalitarismus blind, jetzt ist es durch ihn geblendet." (S.131)
Wir sehen, eigentlich ist das selbständige Denken sowie das Schaffen der Voraussetzungen dazu mehr denn je gefragt, aller "Aufklärung" um Trotze. Dieses "sapere aude" (Wage es, weise zu sein) von Horaz, von Immanuel Kant 1784 als Leitspruch der Aufklärung dann in die bekannte Formel "Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!", gegossen, erscheint mir heute wichtiger denn je! Und -- leider -- scheint auch der Begriff "Mut" in diesem Kontext wieder mehr Bedeutung zu erlangen, wo doch eigentlich umfassendes Arbeiten mit dem Verstand gerade in einer Demokratie reine Selbstverständlichkeit, also: Normalität, sein solle ...
Man kann das alles, dieses kritische Denken und Reden, jene Notwendigkeit des Hinterfragens von Vorgegebenem, auch ganz einfach, Anleihen an einem alten Pop-Song nehmend, zusammenfassen -- dieses sapere aude: " Why do I deny all that's accepted true? / Why can't I live my life like I'm expected to? (...) I believe no one's conclusions, I think for myself. / I take nothing for granted, my brain ain't on the shelf. / I've got my views though I'm missed and confused. / Oh what's exactly the matter with me?" (Barry Mc Guire What's exactly the matter with me; Songwriter: P. F. Sloan / Steve Barri)
Fazit: Erkennen wir's, packen wir es an. Das Einlösen wie auch das Einfordern von Verantwortung rufen ...
Der Verworfene
(aus: Der Teppich des Lebens)
Du nahmest alles vor: die schönheit grösse
Den ruhm die liebe früh-erhizten sinns
Im spiel · und als du sie im leben trafest
Erschienen sie verblasst dir nur und schal.
Du horchtest ängstlich aus am weg am markte
Dass keine dir verborgne regung sei ..
In alle seelen einzuschlüpfen gierig
Blieb deine eigne unbebaut und öd.
Du fandest seltne farben schellen scherben
Und warfest sie ins wirre blinde volk
Das überschwoll von preis der dich berauschte ..
Doch heimlich weinst du – in dir saugt ein gram:
Beschämt und unstät blickst du vor den Reinen
Als ob sie in dir läsen .. unwert dir
So kamst du wol geschmückt doch nicht geheiligt
Und ohne kranz zum grossen lebensfest.
(Stefan George, 1868 - 1933)
...wozu lebt man, wenn der Wind hinter unserm Schuh schon die letzte Spur von uns wegträgt?
Stefan Zweig
Wäre es denn wirklich ein Gewinn …, ein Gewinn für den Menschen, wenn er unsterblich wäre, statt — wie bald! — zu vergehen und plötzlich dahinzumüssen? Wäre es ein Gewinn für ihn: nicht in der Zeit zu sein, sondern unvergänglich wie – vielleicht – ein Stein oder ein ferner Stern? Liegt nicht gerade in der Vergänglichkeit, und vor allem, im Wissen darum, seine ihn auszeichnende unvergleichliche Kraft?
Walter Jens
Wir begreifen die Ruinen nicht eher, als bis wir selbst Ruinen sind.
Heinrich Heine
Steinhausen (bei Bad Schussenried): der ruhige, schöne Ort mit der Barockkirche (Wallfahrtskirche St. Petrus und Paulus): "Schönste Dorfkirche der Welt", das Barockkleinod Steinhausen ...
Diese Kirche wurde unter dem Bauherrn Abt Didacus Ströbele vom Prämonstratenserkloster Schussenried in den Jahren 1728 - 1731 von dem berühmten Baumeister Domenikus Zimmermann und seinem Bruder Johann Baptist Zimmermann errichtet. Aus der alten Kirche, welche diesem Neubau 1415 weichen mußte, wurde das gotische "Gnadenbild der Schmerzensmutter" erhalten. Von circa 1660 bis 1728 stand es auf einer Steinsäule: die Kirchenbesucher zu "Unserer Lieben Frau auf der Saul" ergriff stille Anbetung bis hin zu begeisterter Bewunderung. Nun ist es zu sehen oberhalb des Altars (siehe auch das nachfolgende Bild). Ich besuche diese Kirche immer wieder sehr gerne und genieße das Verweilen an diesem Ort. Man sollte beim Besuch in Dankbarkeit auch einen Beitrag zum Erhalt dieser eindrucksvollen Kirche leisten!
Auch du ohne Klage
gedenke der Tage,
die froh wir verlebt.
Wer Gutes empfangen,
der darf nicht verlangen,
daß nun sich der Traum
ins Unendliche webt.
David Friedrich Strauß
Nichts Himmlisches geht vorüber,
aber das Zeitliche geht vorüber
am Himmlischen.
Bettina von Armin
Hoffnungslos
Weicht der Mensch der Götterstärke,
Müßig sieht er seine Werke
Und bewundernd untergehen.
Friedrich Schiller
Der Gedanke an die Vergänglichkeit aller irdischen Dinge ist ein Quell unendlichen Leids - und [auch] ein Quell unendlichen Trostes.
Marie von Ebner-Eschenbach
Ade, du schöner, ruhiger Ort.
Bad Buchau, Schloßbergklinik mit ihren zahlreichen Storchengästen ... (Juli 2023)
Windestreiben
Nun üben sie wieder – dort, hoch oben:
Vorbereitung.
Einfügen.
Dem Schicksal folgend,
es herausfordernd:
Begegnungen mit Hoffnungen,
es möge gutgehen.
Nun fliegen sie wieder – dort, hoch oben;
Alljährlicher Aufbruch der Störche,
Den Winden gehorchend,
Die Winde nutzen – zweckbestimmt.
Seele spiegelt sich in ihrem Kreisen,
in ihrem Flug.
Bewegung oder Stillstände –
Geistesregungen ...
Auf dem Rücken liegend beobachten.
Sehnsucht nach Beweglichkeit.
Gehalten von schweren Kräften.
Gedanken fliegen – wenigstens das:
Traumtänzereien.
Vorstellungswelten.
Allerdings – sie üben wieder – alljährlich.
Storchen-Kreisen
Storchen-Welten
Luftgängereien
Bodenhaftungen
Spiele, Wege unterschiedlicher Kräfte.
Die einen betten sich mit den Winden,
Andere wehren sich dagegen vehement.
Alle jedoch: spüren die Wolken ziehen.
(FagusArua 19.08.2024)
... vielleicht demnächst noch weitere Inhalte hier ...
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