... just wait and see ...
Bewahret diese Kultur! Sie sei weiterhin maßgebliches Zeichen unserer Gesellschaft.
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Weihnachtszeit 2021
Gedanken und Bilder zur Weihnachtszeit 2021 und zu Neujahr
Ja, ist denn schon wieder Weihnachten ...
Schön wären:
Besinnlichkeit
Bescheidenheit
Wesentlichkeit
Ruhe
Einsichten
Bemühen um Wahrheit
Das Schöne in der Wirklichkeit ist höher als das Schöne in der Kunst.
Nikolaj Gawrilowitsch Tschernyschewski
Zugedeckt
Im Wellental der Entwicklungen
Entsagt den wachen Blicken
Verzicht
Wieder diese Dezemberrhythmik,
merkantil längst zur Unzeit eingeleitet.
Spaziergänge auf allzu dünnem Eis:
Eingebrochen, von Kälte umhüllt.
Hört, hört, hört:
Wörter aus dummen Hirnen!
Sätze als Substrat von Täuschung!
Tanzfest verlogener Rührseligkeit.
Orgien der Überbietungsakteuere,
Selbstbeweihräucherungen,
Selbsttäsuchungen,
Angeberei als Normalität.
Und da ist auch sie einmal mehr:
die Schneedecke über allem;
Weißer Schnee als das Alibi für fast
mögliche Sichtbarkeiten.
Wintersonnenstrahlen zu schwach all das
Gefrorene aufzutauen, zu erwärmen.
Ja, ist denn schon wieder Weihnachten!
Steigt ein in die winterlichen Szenerien!
Heiße Tänze mit der Fremdbestimmung;
Exzesse tatsächlicher Niedertracht:
Orgasmen aus Ichsucht
und Herrschaftsallüren,
medial dümmlich unterstützt.
Bunte Bildhaftigkeit der Verlogenheit.
Versprechungen, Belobigungen, Feierlichkeiten:
Täuschungen – Täuschungen – Täuschungen!
(FagusArua, 01. - 20. Dezember 2021)
"Sterne hoch die Kreise schlingen,
aus des Schnees Einsamkeit
steigst's wie wunderbares Singen -
O du gnadenreiche Zeit."
Joseph von Eichendorff
Als ich diesen Gedanken Joseph von Eichendorffs vor vielen Jahren erstmals begegnet bin, stellte sich zugleich auch eine Erinnerung an meine Kindheit ein: ich habe die damaligen Weihnachten durchaus als gnadenreiche, vor allem als ruhige, nicht von Hektik geprägte Zeit in Erinnerung. Langsamkeit spielte eine große Rolle, Vorfreude hatte ihren angemessenen Platz, denn es gab noch nicht die bereits im Herbst beginnenden Verwässerung der Weihnachtszeit, jenes dumpfe Vorwegnehmen von typischen Festritualen, derer sich vor allem Handel und Werbung befleißigen. Jenes Funktionalisieren von Weihnachten für Konsumwahn! Und es gab bereits in der vorweihnachtlichen Zeit: Schnee. Viel Schnee. Wir stapften bei hereinbrechender Dunkelheit durch den Schnee und genossen die meist sehr dezenten, auf echte Feierlichkeit gerichteten Lichter, zündeten ab und zu ein paar Sternwerfer, Wunderkerzen, waren aber vor allem eingestimmt auf Vorfreude und die bald kommende Festlichkeiten.
Undenkbar, daß es beispielsweise schon Plätzchen und andere ähnliche mit Weihnachten verbundene Leckereien gegeben hätte! Man hatte zu warten. !Und wir warteten gerne, wir wußten, es muß so sein und es war schön so. Die Wünsche nach Geschenken hielten sich in gebotenen Grenzen. Auch die Erwachsenen hielten sich an den Takt eines Jahresrhythmus von zeitlich genau umrissenen Festtagen und ihrer Dauer. Wir lebten Bedürfnisaufschub und hatten zumindest eine ausreichende Ausprägung an Frustrationstoleranz. Wenn ich dies jetzt so schreibe, handelt es sich beileibe nicht um Verklärung der Vergangenheit, um den Versuch, etwas zu beschönigen, was eigentlich nicht beschönigt werden sollte. Nein, es war wirklich noch etwas anders als es seit längerer Zeit nun geworden ist. Es war mehr Bescheidenheit, mehr ein Eintauchen in wirkliche Feierlichkeit. Die Bedeutsamkeit des Weihnachtsgedankens war gegenwärtiger, brauchte keinen Ersatz. Dies galt auch für die meisten jener, für die biblische Geschichten lediglich mehr oder weniger schöne beziehungsweise gute Erzählungen waren, ja, auch für diejenigen, die mit dem Glauben an Gott nichts anzufangen wußten. Tatsache war, daß die weihnachtliche Stimmung als solche auf fast alle einen ganz besonderen Einfluß ausübte, daß das Sich-Besinnen, das Innehalten, das Sich-um-Freude-Bemühen, ja auch das Nach- und Überdenken über das Leben an sich einen gebührenden und wohl auch notwendigen Raum erhielten. Gewiß, es gab auch schlimme Armut, Menschen, denen Weihnachten besonders die eigene Wirklichkeit vor Augen hielt. Aber auch jene feierten, dies dann wohl in einer etwas anderen Stille und Umgebung sowie Gestaltung ihr Weihnachten. Nikolaus Lenaus Vers drückt das alles recht gefühlvoll und zwar auch etwas kryptisch aus, was damals noch vielfach galt, heute jedoch eher in weite Ferne gerückt sein dürfte :
"O Weihnacht! Weihnacht! höchste Feier!
Wir fassen ihre Wonne nicht,
Sie hüllt in ihre heil'gen Schleier
Das seligste Geheimnis dicht."
Nikolaus Lenau
(Oder hat Lenau mit der zweiten Zeile bereits gar antizipatorisches Talent gezeigt? Was fassen wir noch, und -- was bleibt einfach nur verhüllt, dicht und so weiter ...)
Heute, genauer: schon seit vielen, vielen Jahren hat sich das spürbar verändert, die Zeiten sind andere geworden. Die Zeit erfährt andere Taktungen, viel zu viele an künstlich aufgezwungenen. Es geht doch gerade heute vielmehr darum, aus allem möglichst großen Profit (sowohl in materieller als auch in personaler Hinsicht!) zu erzielen. Und genau zu diesem Zwecke werden Zeiten gedehnt, wird falsche Sentimentalität geschürt, wird das Spiel des "pretending" gespielt und man tut dann einfach so als sei es damit schon auch (die von der Idee vorgegebene) Wirklichkeit. So hat man im Frühherbst die Badehose kaum ausgezogen, bereitet sich innerhlich so langsam auf den Herbst vor, wuchert beispielsweise in den Geschäften schon das Weihnachtsgebäck und all die anderen sogenannten Lockungen, die man mehr oder weniger verborgen als "weihnachtliches Freudenerleben" andient, einem aufdrängt (und wie folgsam läßt man sich dann auch so viel immer wieder aufdrängen) ... Marketing als eine Art heilige Weihnachtskuh streckt eben die Fühler, die Tentakeln aus.
Vielfach dominiert doch mittlerweile längst das, was der amerikanische Journalist und Satiriker Ambrose Gwinnett Bierce bereits 1906 in seinem "The Cynic's Word Book" über Weihnachten geschrieben hatte: "Weihnachten: ein besonderer Tag der Völlerei, Trunksucht, Gefühlsduselei, Annahme von Geschenken, öffentlichem Stumpfsinn und häuslichem Protzen gewidmet."
Ist also meine oben aufgeschriebene Reminiszenz somit falsch? Eine Selbsttäuschung? War es nicht schon immer so? Doch nur eine Verklärung dessen was war und Täuschung über die Wirklichkeit meinerseits? Nein, ist es nicht.
Ich weiß noch genau, wie es damals (stellenweise auch) war, habe auch nicht vergessen, daß es damals schon all das, was Bierce anprangerte, gegeben hat und zudem noch Exzesse, die darüber hinausgingen: eben Völlerei, Trunksucht, Gefühlsduselei, Annahme von Geschenken, öffentlichen Stumpfsinn und häusliches und öffentliches Protzen bis hin zu Streit als Krone vermeintlichen Gemeinsinns. Sicherlich auch: Aggressionen und Wetteifereien. Ganz gewiß auch: Täuschung und Selbsttäuschung. Sicherlich auch dies: Pharisäerhaftigkeit durch Inanspruchnahme oder gar In-Besitznahme von Religion, Religiosität und gewachsener Kultur. Man muß sicherlich durchaus jenen Aspekt in diesen Zusammenhängen nennen: Formen von Ausbeutung. Ja, all das gab es damals auch schon. Aber nicht in diesem schier unerträglichen Ausmaß wie es heute der Fall ist. Was damals eher die (sicherlich irgendwie auch gemeine und hinterfotzige) Ausnahme ist, gerät heutzutage zur Regel. Insofern ist eben was Weihnachten und sein Erleben angeht da sehr wohl ein großer Unterschied zwischen dem Heute und dem Damals.
Aber es waren alles eher kleinere Kreise, schon gar nicht die Mehrheit, für die Weihnachten ein Kompensationstempel, ein Schaulaufen, "Action", Gewissensberuhigung, ein Ausbeutungs- und Bereicherungsinstrumtarium, ja auch ein Machtfaktor oder ähnliche weihnachtsabstinente, den eigentlichen Sinn verfremdende Verhaltensweisen war. Verschoben hat sich längst jedoch die Quantität: diejenigen, welche Weihnachten noch in seiner Botschaft leben wollen und können, dürften längst eine Minderheit sein!
Und damit ist auch die Qualität dessen, was man weihnachtliches oder sonstiges "Feiern" nennt, was ich gerne als "Schlüsseltage" dem Ablauf der Zeit zuordne, eine andere geworden, die Vergleichsmaßstäbe haben sich also erheblich verschoben, verändert, dies jedoch nicht zum Besseren. Weihnachten wurde auch zunehmend die Einzigartigkeit genommen; man hat es zu einem speziellen Konsumzeitraum ausgedehnt ... Das "Fun-Denken" hat längst obsiegt, sich dem Gehaltvollen entzogen, der Oberflächlichkeit und nicht selten zudem abgrundtiefer Dummheit untergeordnet.
Weihnachten dürfte für die Allermeisten längst überwiegend oder ausschließlich nur mehr Hektik, Stress (kein Eustress jedoch!), Hast, Überbietungsanstrengungen, Lautheit, Wichtigtuerei, vor allem aber Konsumterror in dessen verschiedensten Schattierungen sein.
Feinsinnige, vielleicht gar "seismographisch" begabte Leute, haben diesen Niedergang, dies wohl mit dem ähnlichen Blick und Fühlen von Bierce schon in früherer Zeit (also vor meiner oben aufgeführten und als entsprechend positiv erlebten Erinnerungsepoche), angesprochen, so beispielsweise der Nobelpreisträger Hermann Hesse in einer kleinen Abhandlung aus dem Jahre 1927:
»Weihnachten ist ein Inbegriff, ein Giftmagazin aller bürgerlichen Sentimentalitäten und Verlogenheiten, Anlaß wilder Orgien für Industrie und Handel, großer Glanzartikel der Warenhäuser, riecht nach lackiertem Blech, nach Tannennadeln und Grammophon, nach übermüdeten, heimlich fluchenden Austrägern und Postboten, nach verlegener Feierlichkeit in Bürgerzimmern unterm aufgeputzten Baum, nach Zeitungsextrabeilagen und Annoncenbetrieb, kurz – nach tausend Dingen, die mir alle bitter verhaßt und zuwider sind und die mir alle viel gleichgültiger und lächerlicher vorkämen, wenn sie nicht den Namen des Heilandes und die Erinnerung unserer zartesten Jahre so furchtbar mißbrauchten.« (Hermann Hesse über Weihnachten, 1927; aus: Mein Glaube, Bibliothek Suhrkamp 1971, S. 95)
Wir können es immer wieder -- dies auf allen Ebenen und in allen Bereichen -- sehen: irgendwie scheint alles nicht so gänzlich neu zu sein ... Gleichwohl ist es sinnlos, hier zu jammern, zu klagen, zu schimpfen, zu bevormunden, denn diese Entwicklung ändern zu können, ist nicht absehbar; was man aber für sich selbst tun kann: sich jenem Tross weitgehend entziehen, das Laute und die Masse zu meiden, vor allem den penetranten Versuchungen aus Fremdbestimmung zu widerstehen (vgl. hierzu Epikurs "Schlimm ist der Zwang, doch es gibt keinen Zwang, unter Zwang zu leben.") und für sich und seine nahe Umgebung ernsthaft bemühen, auch dem Weihnachtsfest einen wirklich tieferen und damit angemessenen Sinn zu geben, ihm den immanent tiefen Sinn vor allem zu belassen, eben daran stetig zu arbeiten und entsprechend zu wirken. Dann ist es auch nicht mehr weit zum: bewirken ... Und der Weihnachtsgedanke rückt wieder -- ein wenig näher.
Was der Umgang mit "Weihnachten" jedoch ganz exemplarisch zusätzlich verdeutlicht: Wir sind von dem Ziel eines qualitativen Wachstums weit, weit entfernt, wir bewegen und vielmehr weiter weg von einem solchen Ideal. Solange Oberflächlichkeit, Rücksichtslosigkeit gegenüber der und Ausbeutung von Natur, Konsumgeschrei, vielfache Inhaltsleere, Umsatzrückganggejammere, einseitiges Klagen über "Werteverluste" (d.h. der Status quo soll einfach rücksichtslos fortgeschrieben werden), Beziehungsgeschachere, sowie andere eigentlich lebensfeindliche Interessen so heftig propagiert und rücksichtslos durchgesetzt werden -- sozusagen als "heilige Kuh", die nicht geschlachtet werden darf --, ihre elementare Wirkung entfalten, solange eben keine Rückbesinnung auf und Einsicht in qualitative Werte erfolgt als auch als Prämisse von politischem, wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Handeln Geltung erhalten, solange sind all die Sonntagsreden auf "Verbesserung der Verhältnisse", auch die "weihnachtlichen" mit Pseudoempathie und Scheinheiligkeit geladenen, nichts anderes als pharisäerhaft und verlogen, ein Ausleben von Täuschungen und Lügengebäuden.
Die weitgepflegte "dünne" Ideologie hinter dem Weihnachtsrummel läßt sich, so man es denn will, leicht durchschauen. Ein weiteres Zeichen dafür, welcher Macht und welchen Interessen man (damit) tatsächlich frönt.
Für all die gepflegten und vielfach gepriesenen Oberflächlichkeiten und Rücksichtslosigkeiten, für all die tatsächliche geistige und seelische Armut dürfte letztlich ein hoher Preis zu zahlen sein. (Dies läßt sich nicht nur am tatsächlichen Umgang mit den klimatischen Entwicklungen aufzeigen, der Hinweise gibt es noch viele andere!) Wer "Weihnachten" und die damit verbundenen eigentlichen, tiefergehenden Werte ernst nimmt, der oder die müßte sich rasch von Hohlheit, Verantwortungslosigkeit, Oberflächlichkeit und materieller Orientierung sowie von Massenexzessen verabschieden und sich auf das wirklich Wichtige, auf eine von Verantwortung für sich und für das Gesamt getragene Lebensweise, besinnen und dies in einer alltäglichen Praxis umsetzen, es wenigstens ernsthaft versuchen.
Der materielle Wohlstand weniger (im Vergleich mit der gesamten Menschheit!), die Dominanz der Schwätzer, Täuscher, Inkompetenten, das stete Propagieren von Wachstum (faktisch für eine Minderheit, dies nicht nur in einem weltweiten Maßstab!) -- dieses Pflegen einer materiellen Wachstumsideologie! --, die Weigerung zu einer notwendigen Bescheidenheit zum Nutzen aller, all dies sind sehr deutliche Zeichen: dieser Weg ist falsch, rücksichtslos und zeugt davon, daß man für diese Spezies den Begriff "homo sapiens" besser vermeidet ... Vielleicht etwas unweihnachtlich darf ich da an Albert Einsteins (ihm zumindest zugeschriebenes) bekanntes Diktum erinnern: "Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher." Und in der Tat: man kann immer wieder den Eindruck gewinnen, die menschliche Dummheit sei tatsächlich unendlich. Gleichwohl gibt es eine stattliche Zahl von Menschen, die durch ihr Denken und Verhalten einen manifestierten Gegenpol zu dieser Auffassung darbieten. Gott sei Dank!
Wer bei meiner Kritik am tatsächlichen Umgang mit Alltag, Lebensweise und einem eigentlich zur Reflexion zwingenden "exemplarischen" Weihnachtsgedanken hier mir nun Resignation o.ä. unterstellt, der hat meine Ausführungen nicht richtig verstanden oder nicht wie intendiert verstehen wollen. (In diesem Zusammenhang sei beispielsweise an Karl Jaspers Kritik über das Verstehen von Sprache und getätigten Aussagen verwiesen!)
Es ist eben schon auch so, daß bisweilen der Grat zwischen erfahrbarer Wirklichkeit und dem sich daraus noch ergebenden / ersichtlichen Veränderungspotential (-potenzial) extrem schmal ist. Insofern ist zumindest eine partielle Resignation häufig identisch mit kritischer Sicht auf das Erfahrbare mit Würdigung dessen immanenten "Spielraums" hinsichtlich Veränderungen (natürlich meine ich das hier im Sinn von Verbesserung der Verhältnisse, also in Richtung qualitativer Veränderungen!) notwendige Voraussetzung (leider noch längst nicht: hinreichende!) für psychische Gesundheit in den Alltagswogen. Oder um es mit Arthur Schopenhauer zu sagen: "Ein guter Vorrat an Resignation ist überaus wichtig als Wegzehrung für die Lebensreise."
Vor den vorgenannten Hintergründen und Begebenheiten, bei aller Skepsis und trotz wirkmächtiger Widerständen, aber auch mit aller Inbrunst spreche ich die Forderung und Hoffnung aus: Es sei endlich bald wieder wirkliches Weihnachten!
"Der Stern von Bethlehem ist ein Stern in dunkler Nacht – auch heute noch."
Edith Stein
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