Bewahret diese Kultur! Sie sei weiterhin maßgebliches Zeichen unserer Gesellschaft.
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Weihnachtszeit 2017
Gedanken und Bilder zur Weihnachtszeit 2017 und zu Neujahr
Ein paar Gedanken, abschließend zu Weihnachten 2017 und zum vergangen Jahr, an dieser Stelle.
"The night was a dreamlike mangle of past and present: a childhood world miraculously intact in some respect, grievously altered in others, as the Ghost of Christmas Past und the Ghost of Christmas Yet to Come had joined to host the evening." (Donna Tartt, The Goldfinch, , Little Brown, London 2014,S. 468 -- Originalausgabe: Little Brown and Company, New York, 2013)
("Der Abend war traumartiges Durcheinander von Vergangenheit und Gegenwart: eine Kindheitswelt, die in mancherlei Hinsicht noch wundersam intakt war, in anderer schmerzlich verändert, als würden der Geist der vergangenen Weihnacht und der Geist noch zu kommender Weihnacht einen Abend lang gemeinsam als Gastgeber fungieren." -- Donna Tartt, Der Distelfink, Goldmann, München 2013 , S. 621)
Es ist nicht genug zu wissen, man muß auch anwenden.
Es ist nicht genug zu wollen, man muß auch tun.
Johann Wolfgang von Goethe
Weihnachtsgedicht 2017
Kalte Zeit
Die Störche sind längst davon gezogen
Haben nun ihren eigenen Weg gefunden
Und manch ein Mensch fühlt sich betrogen
So wertet er mühsam all die vielen Stunden
Die er leichtfertig in den Wind gesendet
Und menetekelhaft im Jahr vergeudet hat
Das Schicksal feige wieder nicht gewendet
Stets gehetzt und gierig wie ein Nimmersatt
Wo einstWintergezwitscher tönte ringsum
Wo man sich konnte an den Federn freuen
Da bleibt es nun zumeist gefährlich stumm
Und es gäbe viele tausend Gründe zu bereuen
Doch jetzt zu Weihnacht schnell Kreide fressen
Um es dem bösen Wolfe im Bette gleichzutun
Ganz schnell all die Untaten sogleich vergessen
Sich so scheinheilig verstecken in Huldigung
All dessen was dereinst einmal nur heilig war
Was einmal wirklich Sinn und Halt gegeben
So manch Pharisäer marschiert nun zum Altar
Und tut als würde er ehrlich und sittsam leben
Als wäre Achtung vor der Schöpfung sein Ziel
Als würde er alles Lebendige wirklich achten
Dabei eine Fassade aus Schande ist sein Profil
Man muß nur genauer diese einmal betrachten
Ach wäre man doch Storch mit stolzen Flügen
Hinweg könnte man segeln in andere Weiten
Fort von all den dreisten vielfältigen Lügen
Ganz einfach bescheiden Lebendiges geleiten
Und bliebe dann ein Kern notwendig Glück
Hätte man auf Flügen eine Rücksicht erfahren
Kehrte man wie manch Storch wieder zurück
Und würde stets weiser mit all seinen Jahren
(Fagusarua 23.12.2017
Gedanken zu Weihnachten
Hermann Hesse hat es drastisch ausgedrückt (s.o.), hat Weihnachten, dessen eigentlicher Sinn längst abhanden gekommen ist als einen "Inbegriff, ein Giftmagazin aller bürgerlichen Sentimentalitäten und Verlogenheiten, Anlaß wilder Orgien für Industrie und Handel" beschrieben. Dies bereits 1927(!), woraus man sehen kann, daß wir uns in dieser Verlogenheit und Oberflächlichkeit seit damals zweifelsfrei noch zu steigern wußten -- man sehe und höre nur, was heutzutage im Kontext mit Weihnachten alles abläuft, was da so alles "verkündet" und der Bedürfnisbefriedigung persönlichen Wohlergehens angeboten oder gar angemahnt wird, wie die Unterscheidung zwischen "Wahrheit" und "Lüge" einem jeden zunehmend höchste Anstrengung abverlangt, wie jenes vielfach festzustellende ideologieträchtige Gesülze einen eher gerne kotzen ließe ...
Hesse beendete seine Betrachtung mit einem entscheidenden Gedanken: Weihnachten erinnere ihn an "tausend Dinge(n), die mir bitter verhaßt und zwider sind und die mir viel gleichgültiger und lächerlicher vorkämen, wenn sie nicht den Namen des Heilandes und die Erinnerung unserer zartesten Jahre so furchtbar mißbrauchten." Aus diesen Gedanken hallt auch eine gewachsene Kultur wider, der Gedanke an die Einfachheit der Weihnachtsgeschichte im materiellen Sinn, gleichwohl aber auch das Wissen um eine tiefgehende Botschaft, nämlich sich dem wirklich Wesentlichen -- fernab weltlichen Protzertums, fernab der Hektik und der Gigantomanie -- zu öffnen, in sich zu gehen, Bescheidenheit lebendig werden lassen und echten Gefühlen wieder Raum zu geben.
Man muß nicht Anhänger (oder auch nur Mitläufer) des institutionalisierten Glaubens sein, um diese Weihnachtsbotschaft als sinnstiftend und als DIE Aufgabe empfinden, leben, spüren zu können. Aus Hesses Gedanken (er steht natürlich hier nur stellvertretend für viele andere echten Denkenden!) wird einmal mehr deutlich, was wichtig und was unwichtig ist, sein sollte, wenn es um Weihnachten geht. Man kann an Gott glauben, man kann es auch bleiben lassen: die Weihnachtsbotschaft dürfte ungeachtet ihrer geschichtlich-religiösen Einbettung für alle von allergrößtem Wert sein, so man denn sich darauf einlassen möchte, darauf einzulassen "wagt": Achtsamkeit, Muße, Bescheidenheit, Respekt (vor allem gegenüber allem Lebendigen"!) --- und Ruhe, das Mühen um Zufriedenheit im Kleinen. Nicht ein unkritisches Sich-unterwerfen unter jene großen Wörter, zuallermeist salbungsvoll tönend, die letztlich eher Seifenblasen ähneln und schnell wieder ins Nichts, in die Unverbindlichkeit entschwinden, kann die Antwort auf Weihnachten sein!
Das geschichtlich Gewachsene, das Gewordene kann -- wenn man dazu die Bereitschaft aufbringt, wenn man nicht Verdrängungsmechanismen huldigt -- Grundlage zu "Heimat", zu "Sinn", zu "Wertempfinden", zu "Geborgenheit" sein. Damit einher geht -- das macht auch Hesse deutlich! -- die wahre Sentimentalität, gespeist aus den "Erinnerung unserer zartesten Jahre". Das ist etwas gänzlich anderes als jene vielfältigen Formen von erzeugter Sentimentalität, als das was vielfach von Kanzeln und medialen Vermittlungen (von welcher "Prominenz" auch immer ...) an unsere Ohren dröhnt und sich versucht, in unsere Sinne einzuschleichen! Vielfach erleben wir immer wieder gerade zur Weihnachtszeit und zum Jahreswechsel jene Charaktermasken aus (unechter) Dauergüte, (falschem) Willkommenslächeln, jene (unsäglichen, weil letztlich inhaltsleeren) Wörterhülsen; das alles ist nicht Weihnachten, das ist nur eine Authentizität als Rollenspielgerinnung geboren, echt zwar in dem Sinne, weil jene Personen eben so geworden sind und dies -- sei es bewußt oder unbewußt -- so in ihrem Auftreten umsetzen, es ist aber gerade nicht die ganz besondere Authentizität, wie sie uns die Weihnachtsgeschichte abverlangt.
Weihnachten sollte keinen Platz für derartige Formen von deformation professionelle haben; Weihnachten sollte für jeden einzelnen ein weiterer Anlaß im Jahresrythmus sein, einem echten Menschen mit all seinen Stärken und Schwächen, mit all seiner Fähigkeit zu Güte aber auch mit den in ihm lebenden Zweifeln und Gefahren, sicherlich auch vor allem mit seinem Bemühen, dem eigentlichen Sinn des Lebens und dem Eigen-Sinn (das ist das Gegenteil von: Eigensinn!!!) näher zu kommen, an dieser Zielvorgabe wenigstens zu arbeiten...
Zur inneren Einkehr, m.E. eines der wichtigsten und sicherlich gebotenen Orientierungen in Zusammenhang mit Weihnachten ist die Besinnung auf den "Wert" des Umgangs, dies nicht ausschließlich in einem utilitaristischen Sinn zu verstehen, mit bestimmten Menschen: "58. Dem Gesetze deiner Natur gemäß zu leben, kann niemand dich hindern; dem Gesetze der gemeinsamen Natur zuwider kann nichts dir zustoßen. 59. Wer sind die, denen man gefallen möchte, und um welcher Vorteile willen und durch welche Mittel? Wie schnell wird die Zeit alles verhüllen, und wie vieles hat sie bereits verhüllt! (Marc Aurel, Wege zu sich selbst, Sechstes Buch, S.89, Hamburg, Nikol Verlagsgesellschaft, 2009) Marc Aurel schildert zu Beginn dieses Buches zumindest auch Teile seines wesentlichen Selbstverständnisses: "1. Von meinem Großvater Verus habe ich gelernt, leutselig und saftmütig zu sein. 2. Vom ruhmvollen Gedächtnisse meines Vaters erhielt ich den Antrieb zu einem anspruchslosen und zugleich männlichen Wesen. 3. Meine Mutter flößte mir den Sinn für Gottesfurcht, Freigebigkeit und Enthaltsamkeit nicht nur von bösen Taten, sondern auch von derlei Gedanken, überdies Liebe zur Einfachheit in Nahrung und zu einer von der Üppigkeit der Reichen abweichenden Lebensweise ein. 4. Meinem Urgroßvater habe ich es zu verdanken, daß ich in keine öffentliche Schule gehen mußte, vielmehr zu Hause den Unterricht guter Lehrer genießen durfte und daneben einsehen lernte, daß man in solchen Dingen keine Ausgaben sparen sollte." (a.a.O., Erstes Buch, S.5) Es geht also nicht um immer mehr, immer schneller, immer mehr, immer lauter, immer auffallender, schon gar nicht um immer wortgewaltiger und bedeutungsschwangeren Redeschwall, nein es geht: um wirkliche Substanz, um eine Wahl anzunehmen und eine Entscheidung für qualitatives Leben zu treffen! Man lese nur einmal Marc Aurels "Selbstbetrachtungen", dort wird man nicht Formen der Selbstüberschätzungen und das Breittreten hohler, nichtssagender Phrasen, Verkürzungen und Oberflächlichkeit (man kann dies durchaus auch: Geistesarmut nennen!) finden, wie es wohl den allermeisten unserer heutigen Politikern und Medienmachern sowie auch immer gearteten "Lehrmeistern" und "Lehrmeisterinnen" vorzuwerfen ist (damit natürlich auch bis in weiteste Kreise der Bevölkerung hinein verbreitet!) Wie hat Marc Aurel sich selbst "gezähmt"? Besonders bedeutsam erscheint mir seine folgende reflexive Aussage: "Sieh zu, daß Du nicht verkaisert werdest! Nimm einen solchen Anstrich nicht an, denn es geschieht so leicht. Erhalte dich also einfach, gut, lauter, ernsthaft, prunklos, gerechtigkeitsliebend, gottesfürchtig, wohlwollend, liebreich, standhaft in Erfüllung deiner Pflichten. (...) Ehre die Götter, fördere das Heil der Menschen!". (a.a.O., Sechstes Buch, Nr. 30, S. 80) Möchte man diese Ratschläge nicht auch gerade so manchen in welcher Form auch immer herrschenden Positionsrolleninhaber zurufen?! Aber nach aller Erfahrung gilt da wohl leider: die allermeisten von ihnen würden nichts davon hören wollen, nichts davon begreifen, folglich auch nichts davon in ihrer eigenen Lebenspraxis und im Umgang mit denen, für die sie sich nach eigenem Diktum verantwortlich fühlen, umsetzen.
An Marc Aurels Selbstbetrachtungen haben unter anderem Friedrich II. und Helmut Schmidt fruchtbringend Anteil genommen, andere dürften ihn, sofern sie ihn überhaupt zur Kenntnis genommen haben, bestenfalls nicht verstanden haben. Für Marc Aurel waren Übereinstimmung mit der Allnatur, das Prinzip, sich von Vernunft leiten zu lassen sowie das Handeln als Gemeinwohlorientierung keine leeren Phrasen, sondern immanente Aufgabe und eine unveräußerliche (Selbst-)Verpflichtung. Mögen sich daran auch unsere Zeitgenossen ein Beispiel nehmen, man selbst eingeschlossen!
Weihnachten wäre sicherlich eine geeignete Zeit, eine Gelegenheit, einmal sich Einhalt zu gebieten, versuchen sich darüber ehrlich zu machen: was ist denn tatsächlich die maßgebliche Richtschnur für eigenes Denken und Handeln? Zu Weihnachten sich darüber klar zu werden, ob man sein Leben nicht allzu sehr der Hektik, oberflächlicher Beeinflussung, trivialer Schnödigkeit überantwortet hat!
Wie schön und zutreffend hat jener Marc Aurel (auch: Mark Aurel, Marcus Aurelius, römischer Kaiser von 161 bis 180, geboren 26. April 121 in Rom, gestorben 17. M;ärz 180 in Vindebona; als Princeps nannte er sich dann übrigens selbst Marcus Aurelius Antonius Augustus -- sein Vorgänger war sein Adoptivvater Antonius Pius) auch hier eine Handlungsmöglichkeit im Vierten Buch aufgezeigt: "Man sucht Zurückgezogenheit auf dem Lande, am Meeresufer, auf dem Gebirge; und auch du hast die Gewohnheit, nach einem Aufenthaltsorte dieser Art dich lebhaft zu sehnen. Aber dieses alles verrät im Grunde eine sehr beschränkte Ansicht. Steht es dir ja frei, zu jeder dir beliebigen Stunde (sic!, d.V.) dich auf dich selbst zurückzuziehen. Gibt es doch für den Menschen keine geräuschlosere und ungestörtere Zufluchtsstätte als seine eigene Seele, zumal wenn er in sich Eigenschaften trägt, bei deren Betrachtung für ihn alsobald eine vollkommene glückliche Stimmung eintritt, eine Stimmung worunter ich nichts anderes verstehe, als sittliche Wohlordnung. Gönne dir nun immerdar dieses Zurücktreten ins Innere und verjünge so dich selbst! Kurz aber und einfach seien die Grundsätze, deren bloße Vergegenwärtigung sogleich genügen wird, deine Seele vollständig zu reinigen, allen Unmut aus dir zu entfernen und dich fern von Widerwillen in die Verhältnisse zurückzubegleiten, in denen du wiedereintreten mußt." (a.a.O., S.36f.)
Wahrlich, wahrlich, er trägt den Beinamen Augustus völlig zu Recht: August = der Erhabene! Wie oberflächlich, häufig gar inhaltsleer und armselig nach meiner Einschätzung dagegen zumeist die Gedanken und Reden unserer heutigen Repräsentanten, gerade auch wenn sie sich zu Weihnachten und zum Jahreswechsel äußern!
Es sind zumeist Phrasen, welche niemandem helfen, wohl kaum jemanden, der sich Tiefgang erhofft, auch nur im geringsten anregen (schon eher: aufregen ...) können. Sie zeigen eher eine Form der Wirklichkeitsabgewandheit, der Hilflosigkeit im Denken und im Handeln, sind als Schönwetterreden und in ihrer euphemistischen Grundtendenz allzu leicht zu durchschauen. Man möchte da in vielen Fällen gerne jenes berühmt "Si tacuisses, philosophus mansisses!" ausrufen, nimmt davon freilich Abstand, denn das setzte ja voraus, daß jene Proklamateure zuvor jemals Philosophen oder -- der Zeitgeist verlangt das ab -- Philosophinnen gewesen sein müßten. Waren sie natürlich nicht, sie sind es auch nicht, sie werden es wohl auch nie sein ...
Wenn ich erfahren muß, daß beispielsweise der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm in diesem Jahr seine Weihnachtsbotschaft vom Münchner Hauptbahnhof aussendet, weil er ihn für "einen Ort der Beziehung" hält, "der mitten im Leben steht - und deswegen passt er so gut zu Weihnachten!", dann frage ich mich schon, ob da nicht ein diesbezüglich unrealistisches Verständnis von Wirklichkeit denk- und handlungsleitend ist. Der Bischof argumentiert, wie auf einem Bahnhof die verschiedenen Menschen, Arme und Reiche, aufeinanderträfen, so kämen auch in der Krippe mit Hirten und Königen sehr unterschiedliche Gruppen zusammen und -- "Sie alle spüren; Es ist etwas großes passiert!"
Vielleicht sollte sich der Herr Bischof einmal mehrere Stunden an einem jener Großbahnhöfe aufhalten, Menschen und Treiben dort beobachten, die Hetze und Hektik, das Aneinandervorbeirennen (der Sache geschuldet: es gilt Anschlüsse zu erreichen, es gilt zu konsumieren, es gilt jedenfalls nicht: sich der Muße hinzugeben, sich den Mitmenschen zu nähern -- zumindest nicht in positivem Verständnis, u.s.w.) registrieren und dann vielleicht (ein-)sehen und auch verstehen, daß es einen riesigen Unterschied macht, ob man an einem Ort viele Menschen sieht -- die freilich "verschieden" sind -- und die der Zufall, die Notwendigkeit einer Zielerreichung, sicherlich auch unterschiedliche Interessenlagen, dorthin geführt hat oder ob es sich, was Mitmenschlichkeit angeht, wirklich um einen "ganz besonderen Ort", den man gar mit der Geschichte um Christi Geburt in Verbindung zu bringen versucht, handelt. Nein, Herr Bischof, gerade ein Bahnhof hat mit Bethlehem nichts, abera auch gar nichts zu tun, gerade auf einem Bahnhof finden sich eben nicht "unterschiedliche Gruppen zusammen", gerade ein Bahnhof weist sich durch eine Betriebsamkeit aus, die alles erklären mag, aber nicht das, was Bedford-Strohm da m.E. hineingeheimst hat. Da ich davon ausgehe, daß der Herr Bischof dies alles kennt, daß er um die Strukturen eines Bahnhofsgeschehens zumindest ein klein wenig Bescheid weiß, komme ich nicht umhin, hier wieder einmal mehr das zu konstatieren, was leider im öffentlichen Raum immer mehr Verbreitung gefunden hat: einen populistischen Akt mit dem man sich versucht wirksam in Szene zu setzen, die Sucht nach Aufmerksamkeit zu befriedigen. Leider funktioniert das ja auch recht oft, weil eben Menschen jenes sapera aude vermeiden, sich dann eben allzu gerne blenden lassen, weil es aus einer Art Bedürfnis nach Seelenhygiene halt leichter ist, sich mit einer Wunschwelt zufriedenzugeben statt an der Verwirklichung dessen, was vorerst nur Wunsch ist, hart zu arbeiten. (Ich hoffe, daß soviel Realitätssinn bei den Leuten -- vor allem in der Folge der Zeit und der Geschehnisse danach! -- vorhanden ist, die seinerzeitigen vielfachen Willkommensorgien, wie sie auch am Münchner Hauptbahnhof zu beobachten waren, nicht als typisch für ein Bahnhofsalltagsgeschehen -- auf das ja der Bischof offensichtlich mit seinen "Weihnachtsgedanken" abgehoben hat -- zu verstehen ...) Laut Bedford-Strohm in seiner diesjährigen Weihnachtsbotschaft gilt auch: "Weihnachten kommt mitten aus dem Leben und spricht mitten ins Leben." Gehören dazu dann auch der Massenkonsum, die Kommerzialisierung, die Hektik und Oberflächlichkeit, das Funktionalisieren einer moralisch-ethischen Idee für oberflächliche und recht durchsichtige Zwecke? Gehört dazu das viele Umsetzen eines So-tun-als-ob, welches in der realen Ausprägung meistens nur so eine Art ad-hoc-Bestand dann hat, und wenn nicht bereits während der Feiertage dann spätestens danach schnell wieder der Vergangenheit angehört? Das wären sicherlich Gedanken, denen einmal aufrichtig und schonungslos nachzuspüren wäre: diese Diskrepanz von Schein und Sein immer wieder deutlich zu benennen, sich nicht in Floskeln flüchten, die letztlich zudem eine Wirklichkeitsfremdheit sowie Handlungsarmut verdeutlichen. Was können denn eigentlich Menschen in Not, in Verzweiflung, Menschen die von Furcht oder von Ängsten geplagt sind, mit einer Aussage ""Weihnachten kommt mitten aus dem Leben und spricht mitten ins Leben." denn anfangen? Nichts, gar nichts! Nur jene, die in sicherer Position sind, nur jene, welche allenfalls auf hohem Niveau glauben jammern und beklagen zu müssen, die können so eine Sentenz für sich vereinnahmen. Für mich ist dieser Satz jedenfalls nichtssagen, wenn man ihn auf die eigentliche Weihnachsbotschaft beziehen möchte. Er trifft jedoch zu, wenn man ihn auf die gesellschaftliche Wirklichkeit des Konsumierens, der Freizeitaktivität und der Oberflächlichkeit münzt. Aber das kann doch ein "Kirchen-Princeps" nicht wollen, denke ich.
Nach der Hauptbahnhof-Allegorie wundert mich dann auch nicht mehr, wenn der Bischof in der Kapelle der Uni-Frauenklinik in München angesichts der Geburten meint: "Gott wird Mensch in einem kleinen verletzlichen Menschlein" und daß dies die frohe Botschaft von Weihnachten sei. Weiter sagt er dann: "Gott wohnt mitten unter uns. Und deswegen dürfen wir wissen, dass wir in unseren guten und auch in den schweren Zeiten begleitet sind von diesem Gott." Ob das jenen Trost ist und Zuversicht spendet, die sich realiter verlassen fühlen, die am Boden zerstört sind, die unter Verlusten leiden, die von Traurigkeit erfaßt sind, die sich perspektivlos wähnen? Ich fürchte: Nein. Sie werden eher jenen so gepriesenen Gott bestenfalls als abwesend empfinden und all jene, die mit wie auch immer gearteten salbungsvollen Worten auf diese Art Trost zu spenden versuchen, kaum noch ernst nehmen können. Vielleicht sind ja auch die steigenden Kirchenaustritte und die -- von bestimmten Festakten einmal abgesehen -- relativ leeren Gotteshäuser ein Spiegelbild jener Entwicklung! Darüber nachzudenken lohnt sich jedenfalls, meine ich.
Und: Vielleicht sollte man weniger dem Zeitgeist in Sachen "Inhalt geben" huldigen, weniger "moderne" Marketingstrategien um des vordergründigen Beifalls willen betreiben, sondern sich eher auf wertvollere Grundlagen besinnen, eine davon könnten beispielsweise all die vielen philosophischen Gedanken des Marcus Aurelius Antonius Augustus sein. Authentizität zeigt sich nicht, wie Karl Marx es einmal treffend erklärt hat, im Zeigen einer Konstanz der Charaktermaske, also z.B. im Gesichtsausdruck der Erstarrung (bezogen auf einen Habitus, z.B. den der Güte, den einer Wut, den eines energischen Machertums, den der Liebesbedürftigkeit u.a.m.), sondern in der Vielfalt des Ausdrucks, eben je nach Befindlichkeit und momenatan So-Seins, man kann es auch so sagen: in der vollen Lebendkeit des Individuums, damit auch ein Ausdruck von Ehrlichkeit, von Aufrichtigkeit. Nichts von einer deformation professionelle oder ähnlichen Scheinformen. Ist aber ein Zug geronnen, als zu eben jener Marxschen Charaktermaske gemindert, der möglichen Vielzahl von Regungen beraubt, dann haben wir es vielleicht auch mit einer Authentizität zu den, eine die auf reduziere Persönlichkeit verweist. Gerade bei Politikern und Politikerinnen (mehr an Wortwahl biete ich hier dem Gender-Wahn mangels Phantasie nicht an!) findet man leider häufig dieses (vielleicht zunächst nur einstudierte, im einschlägigen Training angelernte) stereotype Erscheinungsbild in Haltung, Gestus und Gesichtsausdruck, das sich im Laufe der Zeit, also der geübten Praxis, zu einem Persönlichkeitsmerkmal verdichtet, zwar auch dann auch "authentisch", freilich nicht im Zeichen einer zur Offenheit und radikalen Ehrlichkeit fähigen Person, sondern als Form kupierter Seinsweise. Wie könnte man jenen so als eine Art Weihnachtsbotschaft zurufen? Vielleicht so: Mach dich ehrlich! Öffne dich der Wirklichkeit in einem weitgefaßten Sinn (und nicht nur deiner) ...
Da jedes Jahr zu dieser Zeit sich auch immer wieder einige Repräsentanten des Staates äußern, möchte ich auch darauf -- wenn auch nur, aus meiner Sicht geboten -- kurz eingehen. Was gibt uns der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit auf den Weg? Er betont, "in vielen Orten in unserem Land ist es heute Abend stiller als sonst", es sei "die Ruhe, die zu Weihnachten über das Land kommt" und das sei "eine Ruhe, die wir uns auch an anderen Tagen im Jahr wünschen." Tatsächlich? Warum haben wir dann diese Ruhe nicht, warum nehmen wir sie uns nicht, oder: weshalb können wir sie uns nicht nehmen? Was steht dem entgegen? Das wären notwendige Antworten auf bohrende Fragen, wobei hier gleichzeitig festzustellen ist, daß eine große Anzahl Menschen hierzulande diese Ruhe offensichtlich überhaupt nicht wollen! Herr Bundespräsident, da habe ich eine ganz konkrete Frage: Was sind die Bedingungen der Möglichkeit für eine solche wie in ihrer Ansprache woh anvisierten Ruhe? Welche gesellschaftlichen Bedingtheiten stehen da im Wege? Könnte man jene bzw. wollte man diese überhaupt beseitigen? Oder erfahren wir auch hier wieder den Widerspruch zwischen dem was in Sonntagsreden (wie auch immer ernsthaft gedacht und nachhaltig gemeint) beschworen wird und dem Tatsächlichen, das unsere Konsumgesellschaft an ihrem ureigenen Leben hält? Hat diese Abwesenheit von Ruhe nicht auch ein gerüttelt Maß mit der zumindest gelebten "panem et circenses"-Methodik zu tun, mit der angefangen von Medien und Politik bis hin zu anderen ideologischen Einflußbereichen (davon nehme ich auch Amtskirchen nicht aus!) eine Gewinnmaximierungsindustrie, der gerade Muße kontraproduktiv wäre, befördert wird? Sicherlich sehr sinnvolle Aspekte für eine Weihnachtsansprache, die tiefer gehen könnte als der Gedanke an einen "Moment außerhalb der Zeit, die uns doch an allen anderen Tagen im Jahr so fest im Griff hat." Warum das so ist und ob es wirklich so sein muß, das wäre der Kern hinter einer ansonsten nur oberflächlich bleibenden Aussage! Was können wir, was kann der Staat, was kann Politik, was kann die Arbeitswelt tun, damit wir diesen "Weihnachtsmoment (...) aufheben und bewahren können, das ganze Jahr hindurch"? Ich fürchte, man wird die Antwort darauf gerne schuldig bleiben, weil damit ein bestehendes System auf seine Menschlichkeit hin hinterfragt werden müßte.
Nach eigenen Worten ist der Bundespräsident "im zurückliegenden Jahr viel unterwegs gewesen in unserem schönen Land" und er habe "Orte kennengelernt, die alles herbeisehnen -- nur keine Stille", weil sie von der Entwicklung abgehängt worden (Stichwort: Dorfsterben) und diesbezüglich verweist er zurecht darauf, daß es auch "eine Stille gibt, die bedrohlich werden kann", weil für jene dort Verbliebenen das Leben schwer geworden ist (Stichworte: schlechte Verkehrsanbindung, keine Geschäfte mehr, kein Arzt, die letzte Gaststätte auch noch geschlossen, etc.). Daß man dagegen auch angehen kann, versucht er an Beispielen für Eigeninitiativen, welche den Orten wieder Leben einhauchten, aufzuzeigen. Wenn er dann sagt, "Wunder wirken können die Menschen auch dort nicht. Das Geld fehlt, wo es andernorts auch fehlt." liegt er zwar richtig, aber ich hätte mir da schon gewünscht, daß er den Versuch einer normativen Schwerpunktsetzung unternommen hätte, kurz: gesagt hätte, woher man dafür das Geld nehmen sollte und auf wessen Kosten dies dann erfolge. Unverbindliche Aussagen helfen in konkreten Problemlagen nicht weiter, erhalten so dann auch leicht den Charakter von Beruhigungspillen, Schulterklopfversuchen und Beliebigkeit. Er sagt mit Blick auf jene Aktiven: "Solche Menschen (...) machen Mut -- und sie verdienen Ermutigung. Mehr noch: Sie verdienen Unterstützung durch die Politik." Richtig! Aber gerne würde man erfahren, wie diese Unterstützung konkret aussehen soll! Immerhin besteht diese Problematik nicht erst seit ein paar Tagen! Wenn er dann weiter ausführt "die Beispiele im Kleinen werden wichtig in den großen Zusammenhängen, Sie zeigen uns: Wir sind den Verhältnissen nicht ausgeliefert. Zukunft ist kein Schicksal!" und an die Verantwortung aller appelliert, dann klingt das zunächst recht schön und gut, bleibt aber zu kurz gegenüber jenen vielen, die nicht münchhausengleich die Kraft aufbringen, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gefühlter Verzweiflung und gespürten Zukurzgekommenseins zu ziehen. Es haben offensichtlich -- sonst sähe es bekanntlich ja besser aus -- nur die wenigsten Kraft und auch das Know-how, sich sehr widrigen Geschicken entgegenzustellen. "Wir sind ein Land geblieben, in dem wirtschafltiche Vernunft ebenso wie soziale Gerechtigkeit als Leitprinzipien der Politik gelten." so der Bundespräsident ergänzend. Wirklich? In vollem Umfange? Gäbe es die überhaupt nichts zu kritisieren, anzumahnen? Gerade in einer Weihnachtsbotschaft dürfte da so mancher eine andere Erwartungshaltung hegen. Wir als ein Land, "das die Kraft und den Willen hat, Zusammenhalt zu bewahren und das Zusammenwachsen weiter zu befördern", für das "weiterhin viel zu tun" gibt. Ohne auch nur den geringsten Hinweis darauf, in welcher Richtung dieses Tun erfolgen soll, vielleicht auch damit verbunden -- tiefergehend -- mit welchen dafür notwendigen Strategien, erscheinen mir derartige Sätze als inhaltsleer, entsprechend als nicht hilfreich und somit überflüssig.
Der Bundespräsident schafft es in seiner Rede auch, zumindest einen gewissen Konnex zwischen der Weihnachtszeit und dem Fall der Mauer herzustellen, jenen sicherlich "unvergesslichen Moment für uns alle", aber dabei handelte es sich nicht um ein "Weihnachtswunder", sondern der Mauerfall "war das Werk mutiger Menschen!" Nicht zuletzt durch diese Ereignisse ist seither "die Welt um uns herum in Bewegung geraten" und wir leben nun "in einer Zeit, die uns beständig mit Unerwartetem konfrontiert", und dies "verunsichert uns auch", wir sehnen uns "nach Beständigkeit, wir sehnen uns nach Gewissheit" und dann kommt der Spagat zum Weihnachtsgeschehen im Stall zu Bethlehem: "Aber wären wir Menschen nicht auch mutig und offen für das Unerwartete, dann wären schon die Hirten vor Bethlehem auseinander gelaufen." Wie bitte? Wie ist das nun zu verstehen? Ist das nicht ein bißchen zu arg konstruiert? Ich finde schon! Dann erfahren wir auch noch, daß "nicht alles Unerwartete uns das Fürchten lehren" muß. Das gelte auch "für Regierungsbildungen, die in ungewohnter Weise auf sich warten lassen" und der Herr Bundespräsident versucht zu beruhigen: "Ich versichere Ihnen: Der Staat handelt nach den Regeln, die unsere Verfassung für eine Situation wie diese ausdrücklich vorsieht, auch wenn diese Regeln in den letzten Jahren nie gebraucht wurden. Deshalb: Wir können Vertrauen haben." Ich frage mich: war da überhaupt jemand diesbezüglich beunruhigt? Weitere Frage: Könnte es einen Unterschied zwischen Vertrauen in die Rechtslage und Vertrauen gegenüber vielen Politikern geben? Zusätzlich gefragt: Gibt es wirklich auch nur einen Hauch von Berührungspunkten zwischen der wirklichen Weihnachtsbotschaft und mehr oder weniger routinisierten Verwaltungs- und Verfahrensvorgängen? Ich denke, hier wurde einmal mehr vorauseilend etwas als Bedenken, als Unerwartetes hochstilisiert, was so keine Ensprechung in unserer gesellschaftelichen Wirklichkeit findet, dafür blieben wirkliche Bedenken, wirkliche Momente der Furcht und Angst, aus "Unerwartetem" gespeist, außen vor. Nachdenklich jedenfalls ist der Inhalt gegen Schluß der Rede: "Und ich möchte meinen Weihnachtsgruß auch an die Menschen in unserem Land richten, die nicht in der christlichen Tradition aufgewachsen sind, die einer anderen oder gar keiner Religion angehören. An alle, die heute in unserem Land den besonderen Moment dieses Festes erleben. Lassen Sie uns aufeinander Acht geben!"
Ich denke, aus dem letzten Satz des Bundespräsidenten kann man auch den Hinweis auf ein gewordenes, gewachsenes Kulturgut von allgemeinem Gültigkeitswert herauslesen. Weihnachten ist eben mehr als "nur" ein Fest des institutionalisierten Glaubens, wir können spüren, daß es Bestandteil einer sehr alten und nicht immer ohne Rückschritte und Exzesse gewachsenen Kultur ist, daß es für uns weiterhin wegweisend wirksam bleiben muß als Fingerzeig für ein menschenwürdiges und erfülltes Leben, daß es aber auch wieder befreit gehört, von all dem Mißbrauch, der mit Weihnachten und dem eigentlich innewohnenden guten Gedankengut seit geraumer Zeit (und dies wohl leider in zunehmenden Maße) ge- und betrieben wird.
Aber wie sich dem nähern, was man als erfülltes Leben beschreiben möchte? Fühlt sich nicht auch der Geldcharakter, der Mehrwertjäger, der rücksichtslose Hedonist, der Ausbeuter einer Natur zum Schaden letztlich aller, der Gigantomane auf der richtigen Seite? Würden nicht all jene behaupten, sie lebten ja dieses "erfüllte" Leben? Gewiß, denn wer verfolgt schon jene diversen Wege, betreibt derartige Aktivitäten, um sich dann sagen zu müssen, das alles habe überhaupt keinen Sinn! Verdrängung hilft da sehr schnell! Wie auch die intersubjektive Übereinkunft unter Gleichgesinnten! Und schon spürt man in Aus- und Abgrenzung jenes "Supergefühl", hält sich und sein Tun, sein Treiben, für sakrosankt, ohne sich auch nur im geringsten mit Versuchen des Hinterfragens konfrontieren zu müssen.
Da lesen wir bei Seneca in seinem Werk "Vom glücklichen Leben" über eine mögliche Zugangsweise zur Sinnsuche: "So ist es: nicht das Leben, das wir empfangen, ist kurz, nein wir machen es dazu; wir sind nicht zu kurz gekommen; wir sind vielmehr zu verschwenderisch", bei richtigem Umgang mit Zeit und Inhalt "bietet unser Leben dem, der richtig damit umzugehen weiß, einen weiten Spielraum. (...) Aber den einen hält unersättliche Habsucht in ihren Banden gefangen, den anderen eine mühevolle Geschäftigkeit, die an nutzlose Aufgaben verschwendet wird; der eine geht ganz in den Freuden des Bacchus auf, der andere dämmert in trägem Stumpfsinn dahin; den einen plagt der Ehrgeiz, der immer von dem Urteil anderer abhängt, den anderen treibt der gewinnsuchende, rastlose Handelsgeist durch alle Länder, durch alle Meere; manche hält der Kriegsdienst in seinem Bann; sie denken an nichts anderes, als wie sie anderen Gefahren bereiten oder ihnen selbst drohende Gefahren abwehren können; manche läßt der undankbare Herrendienst sich in freiwilliger Knechtschaft aufreiben; viele kommen nicht los von dem Glücke anderer oder von der Klage über ihre eigene Lage; die meisten jagen mangels jeden festen Zieles ihre unstäte, schwankende, auch sich selbst mißfällige Leichtfertigkeit zu immer neuen Entwürfen. Manche wollen von einer sicher gerichteten Lebensbahn überhaupt nichts wissen, sondern lassen sich vom Schicksal in einem Zustand der Schwäche und Schlaffheit überraschen, so daß ich nicht zweifle an der Wahrheit des Wortes jenes erhabenen Dichters, das wie ein Orakelspruch klingt: 'Ein kleiner Teil des Lebens nur ist das wahre Leben'; der ganze übrige Teil ist nicht Leben, ist bloße Zeit. Von allen Seiten drängt und stürmt das Unheil an und läßt nicht zu, daß man den Blick erhebe zur Betrachtung der Wahrheit, drückt die Menschen vielmehr in die Tiefe und fesselt sie an die Begierden. Niemals wird es ihnen möglich, zu sich selbst zu kommen (...)." (Seneca, Von der Seelenruhe. Vom glücklichen Leben. Anaconda Verlag Köln 2010, Abschnitt: Von der Muße, S.120f.)
Ein Stück des real-existierenden Weihnachten und der angeblich oder tatsächlich damit verbundenen Gedanken, unserer gelebten Gegenwart, wiedererkannt? Ja? Dann jenen Irrungen und Wirrungen entgegen wirken, jene Blender und Täuschenden entlarven ...
Ich habe wiederholt die Möglichkeiten durch und mit Weihnachten auch für dem einer institutionellen Kirchenaktivität ablehnend oder skeptisch gegenüberstehenden Haltung angedeutet. Natürlich bedarf es nicht unbedingt salbungsvoller Worte, aufgesetzter Weihnachtsminen und bedeutungsschwangerer Theatralik, um Teilhabe an Weihnachten erfahren zu können. Noch bedarf es unbedingt, gleichwohl dies sicherlich hilfreich, vielleicht sogar erleichternd wäre, all der wirklich ehrlichen, authentischen, der tatsächlichen Lebens- und Erlebenspraxis verpflichteten Seelsorger, um für sich selbst aus "Weihnachten" persönlichen Gewinn (dies nicht im materiellen Sinn zu verstehen!) zu erfahren. Wer hier mit einem "Weihnachten brauche ich nicht!" oder gar "Weihnachten existiert für mich nicht!" o.ä. arbeitet, dürfte in den allermeisten Fällen einer Selbsttäuschung unterliegen. Man kann sicherlich verdrängen, aber geht das wirklich ohne Narben? Vor allem: ist das dann nachhaltig?
Weihnachten ist eben ein sehr wesentlicher Teil unserer Kultur und all jene die hier Enkulturation und Sozialisation erfahren haben, werden Weihnachten in sich spüren, fühlen, werden von Stimmungen erfaßt werden, werden schließlich auch wenigstens zum Teil einer Nachdenklichkeit zugeführt, im oberflächlicheren Fall zumindest eine gewisse Sentimentalität durchleben.
Ein hierfür m.E. sehr gutes Beispiel lieferte die bekannte und erfolgreiche Autorin Sibylle Berg in ihrem Buch "Wie halte ich das nur alles aus? Fragen Sie Frau Sibylle." (München 2013, Hanser Verlag). Im fünften Teil, den sie mit "Nach Weihnachten schnell ein Ausflug ins Grüne? Die schwierigsten Fragen zum Schluss" betitelt hat, liefert sie wohl eine recht persönliche Einschätzung zu ihrem eigenen Erleben und Umgehen mit Weihnachten. Bereits die Überschrift verrät zumindest eine gewisse Zerrissenheit: "Was ist nur dran, an dieser verdammten heiligen Nacht?"(a.a.O., S. 144ff.) . Zunächst berichtet Sibylle Berg, daß sie ihre Kindheit und Jugend "in völliger Abwesenheit von Weihnachtsfeiern verbrachte." Und sie habe geglaubt, auch später "die dunkle Zeit des Jahres auch weiter unangetastet ignorieren" zu können. Dazu habe sie alles versucht: Heiligabend "zu Freunden gegangen" und mit ihnen über die "Idioten in ihren Kirchen" gelästert, "in die Ferne geflüchtet", auch "ins Nachtleben". Jetzt bleibe sie allein zu Hause, bilde sich dann ein, das sei "großartig": "Bis die Glocken läuten und mir die Luft abschnüren." (Hervorh. d.V.)
Auch das im Vergleich zu anderen doch sehr unterschiedliche Aufwachsen -- eben eines: ohne Weihnachten und einer entsprechenden Sozialisation in der DDR -- scheint nicht zu bewirken, daß sie sich von irgendwelchen weihnachtlichen Gefühlen freimachen könnte. Schon allein (oder: besonders?) der Klang der Glocken üben da offensichtlich eine Art einschlägigen Schlüsselreiz aus.
Nachdem anscheinend alle Möglichkeiten der Ablenkung nicht ausreichend wirksam waren -- weder Flucht in Fernen noch Fluchtversuche im Nahbereich, auch nicht Versuche, Weihnachten einfach verächtlich zu machen -- hat sie sich entschieden, an diesem Heiligen Abend (Sehr erhellend ihr "Gleich ist Heiligabend. Was für ein altes Wort, eines, das es gar nicht mehr geben sollte, es gibt doch so wenig, was heilig ist. Dieser Abend vielleicht schon.") zu Hause zu bleiben und ihn dort zu verbringen. Ihr Gefühl über diesen Abend? Es komme "ein Sehnen, nach was nur."
Aber das Sehnen scheint da zu sein! Und der Gedanke nach Ablenkungsmanövern schwingt mit, gleichwohl auch die Erkenntnis über deren Unwirksamkeit: "Aber es würde nicht helfen, nichts hilft in dieser verdammten Nacht, Verstehst du mich? Die Glocken, jetzt gehen die Glocken los. Die Katholiken greifen an, ich möchte verächtlich den Mund verziehen. Die Idioten belächeln, die in die Kirche gehen, sich ein Märchen anhören in schlecht geheizten Gemäuer. Aber ich schließe nur die Augen und höre den Glocken zu. Jeder Schlag hallt in mir, füllt mich aus." (a.a.O., S. 146)
Und wenn dann Freunde sie nach Weihnachten fragen, wie es denn gewesen sei, werde sie "lächeln und sagen, weißt du, ich bin froh, dass ich den ganzen Zirkus nicht mitmachen muss." Und sie geht dann davon aus, daß jene Freunde "nach all der Hektik, die sie hatten" auch "neidisch sein werden". Ihr letzter Satz daraufhin dann: "Ich befürcht, das wird mir nicht helfen." (S. 147)
Explizit bleibt die Frage, was denn an "dieser verdammten heiligen Nacht" nur dran sei, vielleicht unbeantwortet (zumindest für all jene, die ohne klare, eindeutige Hinweise nicht auskommen können), implizit wird aber eines deutlich: Wer in unserer Kultur lebt, kann und (und ich sage: hoffentlich) will an Weihnachten nicht einfach vorbeigehen, nolens volens gehört es auch zur eigenen Person, wie immer man auch sonst positioniert sein möge.
Der Satz zum Schluß nach meinen diesjährigen Gedanken über Weihnachten:
"Es lohnt sich in jeder Hinsicht, das, was von Jesus Christus im menschlichen Leben ausgelöst wird, als eine Revolution zu sehen, mit der sich keine andere Bewegung der Geschichte vergleichen oder messen kann."
(George John Romanes 1848-1894)
"Mein" Weihnachten 2017 (24.12.) in Bildern:
Nachgedanken
Man sollte sich hüten, nein nicht nur "hüten", sondern massiv dem entgegenwirken, wenn bestimmte Kreise unter Vorwand und mit den unterschiedlichsten Mitteln und Argumenten versuchen, das was wir unter Weihnachten leben und feiern, zu verwässern oder gar auszuhebeln. Die christliche Tradition ist für uns essentielles Kulturgut, ist für uns zugleich Gegenstand, sich mit Sinn und Unsinn in Lebensweisen konstruktiv auseinanderzusetzen.
Wir brauchen keine Verleugnung dessen, was wesentlicher Bestandteil unseres So-Seins ist, schon gar keine Formen einer Entschuldigung dafür.
Wer hier aber glaubt mit Umbenennungen kirchlicher Festtage, wie beispielsweise durch den Begriff "Lichterfest", eine besonders hohe Form von Toleranz zu leben, ist zumindest auf einem Irrweg, wenn nicht üblere Gesichtspunkte sich dahinter verbergen. Wer die hier gewachsene Kultur an ihren Wurzeln anzugreifen versucht, wer in diesem Lande die gewachsene Freiheit und das Fundament der Kontemplation einzuengen oder gar zu beseitigen versucht, ist letztlich auch ein Feind der Demokratie, vor allem können jene nicht Toleranz für sich reklamieren.
Es ist und bleibt gerade die Aufgabe auch für jene, die sich nicht der Amtskirche und ihren Vertretern verpflichtet fühlen, hier mit an der Bewahrung dessen zu wirken, was unsere Lebensweise und Orientierungen ausmacht, was Grundlage einer abendländischen ethisch-moralischen Sicht- und Orientierungsweise ist (und auch bleiben muß). Natürlich werden bei dieser eigentlichen Selbstverständlichkeit die Grenzen nicht allein durch kirchliche Belange und Gestaltungsweisen gezogen; andere gewachsene Sitten, so auch fundamentale Artikulationsweisen und entwickelte Umgangsformen, bedürfen diesbezüglich ebenfalls besonderer Aufmerksamkeit und Wachsamkeit wie auch der Wehrhaftigkeit, damit sie erhalten bleiben (können)..
Es gibt tatsächlich Leute, die Weihnachtsfeste veranstalten. Ist das komisch!
(Gustave Flaubert)
Weihnachten: ein besonderer Tag der Völlerei, Trunksucht, Gefühlsduselei, Annahme von Geschenken,
öffentlichem Stumpfsinn und häuslichem Protzen gewidmet.
(Ambrose Gwinnett Bierce, genannt Bitter Pierce, 1842 - 1914)
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Hier geblieben
Der Zug:
längst abgezogen, streng seinem Namen folgend.
Der Flieger:
seit geraumer Zeit verflogen, ins ferne Abwesende.
Das Auto:
seinem Namen gehorchend sich nun wohl endgültig,
für immer selbständig gemacht, irgendwie verstaut.
Abhängigkeit von Zeit und Druck
Versuch des Reduzierens:
Der Sucht nach Ferne entsagen,
Nähe als Erkennen!
Ende dem Hetzen und Hasten,
der Unruhe und dem Druck,
dem Wetteifern, der Konkurrenz.
Absage an: Alles-ist-möglich;
möglich vielleicht, aber notwendig?
Mitnichten: Das Viele sei überflüssig!
Überfluß als störende Enteignung,
Saat des Verzichts auf wirkliches Sein.
Deshalb: Kreise besser enger gezogen,
Kraftquell Nahbereich wieder entdecken!
Nicht der Zeit fremder Mächte gehorchend:
Schlicht den Tag leben, sich fallen lassend,
Erleben als Nahaufgabe, als Eigentlichkeit.
Züge, Flieger, Autos endlich deren rastlose
Wege gehen lassen, ohne hier mitzuspielen ...
Seht sie: die gehetzten, verbissenen Gesichter!
Körper in Papageiensynthetik gehüllt,
trampelnd auf ihen Fahrradmaschinen ...
Nummern als Erkennungsmerkmal,
preisgegeben der Lächerlichkeit des Seins.
Schwitzende, stinkende Körper –
Dieser Entäußerung nicht erliegen:
Wie auch nicht vielen anderen.
Nein, nein: Nichtmitmachen als Elixier.
Banale Normalität in guter Einfachheit:
Eigene Ziele und Gestaltung!
Fremdbestimmung mindern
Langsamkeit und Entschleunigung,
Verzicht auf vermeintlich Notwendiges:
Es wenigstens einmal versuchen,
sinnlosen Aufwand sich sparen,
Zufriedenheit im Kleinen suchen!
Eigene Füße neu entdecken, vor allem:
einfache, langsame Form des “Reisens”.
Kleine Kreise um echten Mittelpunkt!
Endlich Mut und Kraft zu eigener Belehrung:
Hier geblieben. Sich besser nah bleiben! Nähe ...
(fagusarua 19. September 2017)
... und wie wird es wohl 2018 sein ...? Einfach nur abwarten, viel mehr ist da nicht zu tun. Let us sing another song on another Christmas Day, let us live and enjoy some German culture!
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